Tiny Houses: Platz ist in der kleinsten Hütte
Online ist der Hype um die sogenannten Tiny Houses längst in Europa angekommen. Nach und nach machen sich nun auch die ersten Pioniere daran, sich selbst ein solches Haus auf Rädern für ein Leben off-grid zu bauen.
Nur etwa 20 Schritte braucht es, um die Baustelle von Klaus Toczeks zukünftigem Haus zu umrunden. Auf nicht einmal 15 Quadratmetern sollen sein neues Wohnzimmer, Küche und Bad Platz finden. Schlafen wird Klaus am wärmsten Ort des Hauses, in einer Art Hochbett direkt unter dem Dach. Das Wohnen auf engem Raum ist Klaus gewohnt. Zwei Jahrzehnte lang reiste er im VW-Bus quer durch Europa, eine Erfahrung, die er auch in der bald bevorstehenden Rente nicht missen will. »Während der vielen VW-Bus-Jahre habe ich immer wieder festgestellt, dass ich dann wirklich zufrieden bin, wenn meine Grundbedürfnisse befriedigt werden: ein Dach über dem Kopf, ein Bett, etwas zu essen und zu trinken, ein gutes Buch und schöne Musik, umgeben von der Natur, aber ohne sie zu stören oder zu zerstören«, sagt Klaus.
Vom Katastrophengebiet in die Designblogs
Er ist nicht der erste, der so denkt. Anfang des Jahrtausends entstand in den USA das sogenannte Tiny-House-Movement, eine architektonische, aber vor allem auch soziale Bewegung, die sich dem bescheidenen und umweltfreundlichen Leben verschrieb. Als Hurrikan Katrina 2005 Teile der USA verwüstete, nutzte man Tiny Houses, oder sogenannte Katrina Cottages, als Notunterkunft für die Sturmopfer. Mittlerweile kennt man Tiny Houses auch in Europa, allerdings hauptsächlich von Architektur- und Designblogs. Dort hat bereits eine Art Wettrennen um die ausgefallensten Kleinbauten, die komfortabelste Innenausstattung und auch die Nachhaltigkeit und Energieeffizienz begonnen. Letzteres ist auch für Klaus Toczek ein wichtiges Thema. Seit März baut er an seinem eigenen Tiny House. Eigentlich hat der 60-Jährige IT-Consultant ja keine Ahnung vom Bauen, doch ist er ein geschickter Heimwerker, der in seinem Leben schon das eine oder andere Gartenhäuschen errichtet hat. So ein Minihaus auf Rädern birgt allerdings ganz andere Herausforderungen. Jeder Quadratzentimeter muss optimal genutzt werden und am Ende soll die ganze Konstruktion samt Einrichtung nicht mehr als 3,3 Tonnen wiegen, denn so viel schafft der Anhänger zu Klaus’ Jeep gerade. Doch Klaus ist zuversichtlich. Unzählige Stunden verbrachte er damit, Informationen über Statik und geeignete Materialien für so ein Tiny House zusammenzutragen. Das Internet erwies sich dabei als eine reichhhaltige Fundgrube. »Ich habe bestimmt 30 verschiedene Grundrisse durchgeplant und wieder verworfen, bis mein heutiger Entwurf stand«, sagt Klaus. »Die größte Herausforderung war allerdings die Entscheidung zu bauen selbst. Ich bin nicht mehr so leistungsfähig wie früher«, fügt er hinzu.
Autark wohnen
Für sein Tiny House verwendet Klaus nur heimisches Baumaterial, Tropenholz kommt für ihn nicht in Frage. Beleuchtung und Kühlschrank müssen auf 12 Volt ausgelegt werden, denn soviel kann die Solaranlage auf dem Dach produzieren. Trinkwasser wird er aus einem vorbeifließenden Bach entnehmen, aufbereiten und das Abwasser über eine Pflanzenkläranlage leiten und in die Natur zurückgeben. »Und die schwedische Trocken-Trenn-Toilette macht aus Abfall wertvollen Dünger – das hat schon Hundertwasser festgestellt«, sagt Klaus. Mit seinem Vorhaben ist er in Europa eher ein Pionier. Von einem richtigen Tiny-House-Trend kann man hierzulande nämlich noch nicht sprechen. Komplizierte Bauvorschriften, Genehmigungspflichten und Straßenverkehrsverordnungen behindern momentan noch eine raschere Ausbreitung der Tiny Houses. Dennoch wächst auch hier das Interesse am sogenannten »Humble Living«.
DIY im Mini-Format
Mark Burton von Tiny House Europe ist einer der ersten europäischen Minihaus-Produzenten. Gemeinsam mit Solarenergieexperten und anderen Bastlern stellt er auf Wunsch ein Tiny House her, das ein Leben off-grid, also vollständig abgekoppelt vom Versorgungsnetz, ermöglicht. »Wir bauen Duschen ein, die ohne Wasseranschluss und nur mit zwei Batterien und einer Gasflasche funktionieren. Die verfügen wahrscheinlich über einen besseren Wasserdruck als meine Dusche zu Hause«, erklärt er mit stolz geschwellter Brust. Burtons Firma baut auch kompostierende Toiletten und verschiedene Arten von Heizungstechnik ein. Wichtig sei bei alledem, den Menschen beizubringen, wie man off-grid lebt. »Man kann zum Beispiel alte Zeitungen sammeln, sie einweichen, zu Blöcken pressen, trocknen und sie anschließend als Brennstoff im Ofen verwenden. Früher wusste jeder, wie man diese Dinge tut, aber seit wir all diese Technik haben, haben wir einfach darauf vergessen«, schnaubt Burton.
Downsizing und Finanzierbarkeit
Ein voll ausgestattetes Tiny House von Mark Burton kommt auf etwa 28.000 Euro. Burton ist klar, dass das nicht wenig Geld ist, daher bietet seine Firma auch preiswertere Bausätze für etwa 12.000 Euro an, mit denen man sich selbst ein Tiny House bauen kann. »Es gibt sogar eine Art Baukasten für Solaranlagen. Die Person, die das nicht zusammenbauen kann, gibt es nicht«, sagt Burton. Für ihn liegen die Gründe für das steigende Interesse an den Tiny Houses eher in deren Leistbarkeit als im Streben nach einem nachhaltigen Lebensstil. Hohe Energiekosten und das Drängen auf den Wohnungsmarkt machen es speziell jungen Leuten schwer, ein eigenes Heim zu ergattern. Besonders mit dem Eintreten der Finanzkrise hätten daher mehr und mehr Menschen begonnen nach kleineren Immobilien zu suchen, nach dem Motto: Ein kleines Haus ist besser als gar keines.
Auch Isabella Bosler von der Tiny House Consulting Deutschland hat diese Beobachtung gemacht: »Der Zuspruch, den unsere Website erhält, ist enorm, aber es geht dabei eher um Downsizing und Finanzierbarkeit eines eigenen Daches über dem Kopf. Die amerikanischen Tiny Houses sprechen zwar den Teil in uns an, der gelegentlich vom Aussteigen träumt, aber eine Zukunft für so eine Wohnform sehe ich hierzulande nicht.« Vor allem im deutschsprachigen Raum finden Kleinstbauten jedoch anderweitig Verwendung. Die Technische Universität München etwa brachte 2005 sechs Studenten in sogenannten Micro-compact-Homes unter. Die würfelförmigen Bauten verfügen über eine Wohnfläche von nur je sechs Quadratmetern und können per Kran oder Helikopter versetzt werden. Die oberösterreichische Herstellerfirma schlägt aber auch andere Verwendungsmöglichkeiten vor, wie etwa als temporäre Künstlerdomizile oder als Notunterkünfte nach Naturkatastrophen.
Wohnen und Umdenken
Für Klaus Toczek ist das Interesse an einem Leben off-grid ein Symptom steigender Skepsis gegenüber dem System. »Seit 30 Jahren beobachte ich die Entwicklung unserer Umwelt, der Nahrungsversorgung und der Finanzpolitik. Dabei stelle ich fest, dass sich die Spirale der Abhängigkeit der Verbraucher von der Nahrungsmittelindustrie immer schneller dreht. Die wenigsten Menschen können noch ohne Fertigprodukte kochen und wissen oft gar nicht mehr, wie Lebensmittel hergestellt werden oder wie sie wirklich schmecken. Und am anderen Ende dieser Schlange steht ein gigantischer Müllberg, mit dem wieder ebenso gigantische Gewinne gemacht werden.« Seiner Erfahrung nach trauen sich viele Menschen nicht auszusprechen, wie sie sich das Leben wirklich vorstellen und dass sie Angst vor einem Zusammenbruch des Systems haben. Er sagt: »Seit ich mich als Tiny-House-Bauer geoutet habe und mit den Menschen darüber rede, bekomme ich immer wieder viel Zustimmung. Aber – und das sehe ich als Hoffnung – es setzt bei immer mehr Menschen ein Umdenken ein.«
Eine Lösung für Wohnen auf wenig Raum und bei geringem Ressourcen-Verbrauch bietet zum Beispiel die QBox. Darüber haben wir an dieser Stelle berichtet.