Saatgut: Wer bestimmt, was wir essen?

BILD: © Rupert Pessl

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Wie selbstbestimmt ist derzeit unser Zugang zu Nahrung? Am 18. Jänner demonstrierten in Berlin 30.000 Menschen gegen die geplante EU-Saatgut-Verordnung und gegen das EU-US-Freihandelsabkommen. Was passiert in Österreich? Und wie kann man in urbanen Gegenden selbst aktiv werden?

Am kommenden Samstag, den 25. Jänner findet im Forum Stadtpark in Graz das Saatgut Fest statt, wo Samen für Gemüse, Kräuter, Heilpflanzen und Blumen getauscht und verschenkt werden. Neben solchen Tauschfesten gibt es noch viel mehr Möglichkeiten, selbstbestimmt zu handeln, wie Josef Obermoser, der des Saatgut Fest gemeinsam mit Christina Gissing und Katharina Zeiner initiiert hat, BIORAMA erzählt.

BIORAMA: Saatgut für Getreide, Gemüse und Obst gilt als Basis unserer Ernährung. Welche Herausforderungen stehen einer selbstständigen Beteiligung der Bevölkerung in der Landwirtschaft derzeit entgegen?

Josef Obermoser: Im Kleinen kaum welche, aber nur auf den ersten Blick. Man kann derzeit hierzulande noch legal Saatgut einer großen Vielfalt samenfester Sorten erwerben und damit gärtnerisch bzw. auch landwirtschaftlich aktiv werden. Samenfest bedeutet, dass man selbst Saatgut abnehmen kann und die daraus entstehenden Nachkommen ihre guten Sorteneigenschaften beibehalten. Im Gegensatz dazu sind die leider weit verbreiteten Hybrid-Sorten (meist erkennbar durch die Bezeichnung „F1“) so gezüchtet, dass jedes Jahr neues Saatgut gekauft werden muss.

Auf den zweiten Blick gibt es viele große Herausforderungen bzw. Probleme. Im Bereich Saatgut versuchen die Konzerne bekanntlich ihre bereits enorme Macht auszuweiten. Auf EU-Ebene sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen mittels einer neuen umstrittenen Vielfalts-feindlichen Verordnung weiter zu ihren Gunsten verändert werden.

Ein großes Problem betreffend des landwirtschaftlich aktiv Werdens ist der Zugang zu Land. Es ist, vor allem für Menschen mit geringen finanziellen Mitteln, kaum möglich, an geeignete Flächen zu kommen. Hat man Land, ist es bekanntlich sehr schwierig, sich als Landwirt ihren/seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die politischen Rahmenbedingungen, die diese Situation verursachen, müssen dringend verändert werden. Dazu braucht es Druck aus der Bevölkerung. Wer zusätzlich umgehend dazu beitragen will, den Bäuerinnen und Bauern ein sichereres Einkommen zu verschaffen, kann bspw. einer CSA (Community Supported Agriculture) beitreten. Dieses Modell solidarischer Landwirtschaft vereint darüber hinaus auch noch viele weitere zukunftsweisende Aspekte in sich.

BILD: flickr.com/krossbow-CC BY 2.0

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Samenfeste Kulturpflanzensorten, die sich an die verändernden Umweltbedingungen anpassen können, gelten also als Lösung gegen den Klimawandel, doch wie genau kann man kollektiv gegen vorherrschende politische Strukturen in dem Bereich agieren?

Vor allem braucht es politische Organisierung. Mehr Menschen müssen sich in die Bewegung für Saatgut- und Ernährungssouveränität einklinken. Politische Strukturen und Rahmenbedingungen können nur von starken sozialen Bewegungen verändert werden. Viele historische Beispiele belegen, dass die gesellschaftlichen Eliten nie freiwillig positive Veränderungen, die der Bevölkerung mehr Macht verleihen, einleiten.

Eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich in die Bewegung einzubringen birgt Nyéléni Austria, das erste österreichische Forum für Ernährungssouveränität, das im April in Goldegg stattfinden wird.

Neu gezüchtete samenfeste Sorten mittels Creative Commons-Lizenzen frei verfügbar zu machen und gleichzeitig vor dem Zugriff der Konzerne zu schützen, halte ich für eine sehr vielversprechende Idee. Das Diskussionspapier „Open Source für Saatgut“ von Gregor Kaiser und Johannes Kotschi bietet einen guten Einstieg in die Thematik. Dieser Ansatz müsste dringend weiterentwickelt werden. Kaiser und Kotschi möchten das tun, es fehlt ihnen allerdings an Ressourcen. Wenn man Gregor und Johannes durch wissenschaftliche Mitarbeit oder finanzielle Beiträge unterstützen möchte, kann man auch einfach mit ihnen in Kontakt treten.

Derzeit liegt der weltweite Zugang zu Nahrung aber in der Macht der Großkonzerne (allen voran Monsanto, DuPont/Pioneer und Syngenta), die über 70% des Saatgutmarktes kontrollieren. Wie können kleine Initiativen da entgegenwirken?

Indem sie selbst gärtnerisch aktiv werden, samenfeste Sorten anbauen, selbst vermehren und Saatgut schenken oder tauschen. Indem sie Sortenerhaltung und -neuzüchtung betreiben oder diese finanziell oder auf andere Weise unterstützen. Ganz wichtig es auch, kleinstrukturierte bäuerliche Betriebe zu unterstützen, die samenfeste Sorten anbauen. Leider tun das auch im Bio-Bereich noch nicht viele. Es hilft sicher, wenn die Esser und Esserinnen auf Bauernmärkten und in ihren Bioläden nachfragen und darauf hinweisen, wie wichtig samenfeste Sorten sind. Es braucht diesbezüglich noch einiges an Sensibilisierung und Umdenken.

BILD: Saatgut Fest, Forum Stadtpark

BILD: Saatgut Fest, Forum Stadtpark

Was hat es mit „Peak Everything“ in Bezug auf Saatgut und Landwirtschaft auf sich?

Der Begriff Peak Everything soll die enorme Ressourcenverknappung, die durch die zerstörerische Dynamik des gegenwärtigen Wirtschaftssystems bewirkt wird, auf den Punkt bringen. Peak bedeutet, dass das Fördermaximum einer bestimmten Ressource erreicht wurde. Bei steigender Nachfrage und meist erschwerten Förderbedingungen führt das zu erheblichen Preisanstiegen. Für den Agrarbereich sind Erdöl, etwa für Transport und Maschinenbetrieb sowie Erdgas und Phosphor zur Herstellung mineralischer Düngemittel, besonders relevant. Die industrielle Landwirtschaftlich, die nur mittels enormer Inputs dieser nicht-erneuerbaren Ressourcen funktioniert, ist eine Sackgasse. Sie wird nicht aufrechtzuerhalten sein. Wir sollten dringend einen freiwilligen, geordneten Übergang zu einem Agrarsystem, das auf kleinstrukturierter bäuerlicher Bio-Landwirtschaft und solidarischer Nahversorgung basiert, unterstützen und mitgestalten. Andernfalls kommen schlechte Zeiten auf uns zu.

Im Gegensatz zu im Labor gezüchteten Hybrid- oder Gentech-Sorten kommen samenfeste Sorten, die on-farm weiterentwickelt werden können, viel besser mit schwierigen, sich verändernden Umweltbedingungen klar. Die Weiterentwicklung alter und Züchtung neuer samenfester Bio-Sorten muss dringend ausgeweitet und auch finanziell unterstützt werden, wenn wir uns trotz Peak Everything und sich verschärfender Klimawandelfolgen ernähren können wollen.

Die Thematik „Saatgut als Allgemeingut“ wird bereits seit längerem umstritten diskutiert. Seit wann findet das Saatgut Fest statt? Warum wurde es ins Leben gerufen?

Unser Fest findet heuer zum ersten Mal statt. Letztes Jahr gab es in Graz bereits ein vom Permakultur-Stammtisch organisiertes Samentauschfest in der Gemüsewerkstatt. Auch dessen gutes Gelingen, die beeindruckende Sortenvielfalt und die vielen begeisterten Menschen haben uns dazu motiviert, dafür zu sorgen, dass es auch heuer wieder ein ähnliches Fest in Graz gibt. Zusätzliche Motivation bekamen wir durch das Entstehen und Florieren mehrerer neuer Gemeinschaftsgärten und diverser anderer Initiativen urbanen Gärtnerns und solidarischer Landwirtschaft.

Die aktuelle politische Situation rund um die neue EU-Saatgut-Verordnung, deren erster Entwurf gegenwärtig nach massivem zivilgesellschaftlichem Protest von allen Parlamentsfraktionen abgelehnt und an die Kommission zurückgeschickt wird, macht die Durchführung solcher Veranstaltungen noch wichtiger. Es gibt sie übrigens natürlich nicht nur Graz, sondern demnächst zb auch in Wien und Markt Hartmannsdorf.

Für Gegenden in denen es keine Möglichkeit gibt, Saatgut geschenkt zu bekommen, oder zu tauschen, kann ich als Bezugsquellen u.a. den Gärtnerhof Ochsenherz, den Verein Dreschflegel, natürlich die Arche Noah und die wunderbare Tomaten-Vielfalt von Irina Zacharias wärmstens empfehlen. Selbst ein Saatgut-Fest zu organisieren, wäre selbstverständlich auch eine gute Idee.

Beim Saatgut Fest wird zu Gunsten der Vielfalt getauscht und geschenkt – Darf man auch mitmachen, wenn man selbst (noch) kein Saatgut zum Tauschen oder Verschenken hat?

Klar, natürlich gerne. Sich ohne Gegenleistung und schlechtes Gewissen – auch von Unbekannten – beschenken zu lassen, müssen wir ohnehin alle wieder lernen. Wer noch nicht soweit ist, darf uns mit einem freiwilligen Unkostenbeitrag zur Deckung der Organisationskosten unterstützen. Wer darüber hinaus etwas beitragen möchte, kann zum Beispiel eine selbst zubereitete Speise zum Potluck-Buffet beisteuern, das zum Abschluss des Festes zum gemeinsamen kulinarischen Genießen einlädt.

 

Saatgut-Fest
Sa, 25. Jänner
15:00-19:00 Uhr
Forum Stadtpark, Graz
http://forum.mur.at

Saatguttauschfest
So, 2. Februar
10:00-13:00 Uhr
Im Haus am Bach, Feldbacherstraße 188  
Markt Hartmannsdorf
www.vereinerde.com

Saatgut-Austausch-Schenk-Tage
Mi, 12. März
14:00-18:00
Im TÜWI-Hofladen, Peter-Jordan-Straße 76
1190 Wien
http://tuewi.action.at

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