Der achte Kontinent

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BILD Erwin Zwart / Fabrique Computer Graphics

Der in den Ozeanen der Erde schwimmende Plastikabfall ist ein gigantisches ökologisches Problem. Um darauf aufmerksam zu machen, ernannte die UNESCO heuer die Müllinseln der Weltmeere symbolisch zum Staat.

Müllflecken, so groß wie ein Kontinent: Der nun offiziell »Garbage Patch« benannte Müllteppich schließt fünf Gebiete im Nord- und Südpazifik, Nord- und Südatlantik sowie im Indischen Ozean ein, wo Müll bedingt durch Meeresströmungen zusammenwächst und eine durchgängige Oberfläche aus Plastikabfällen entstehen lässt. Zwischen Hawaii und dem amerikanischen Festland zeigt sich das besonders eindrucksvoll. Im Laufe der Jahre ist hier ein Müllstrudel entstanden, der die Größe von Mitteleuropa hat. Bedingt durch ein Hochdruckgebiet formt sich dabei ein Meereswirbel, der von aufsteigenden warmen subtropischen Luftmassen und absinkenden kühleren Luftmassen permanent gespeist wird. Plastikmüll oder anderes Treibgut, das sich im Meer befindet, wird von den Strömungen erfasst und endet über kurz oder lang in diesem überdimensionalen Müllstrudel. Laut Angaben der US-Behörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) verweilen Partikel dieses Teppichs bis zu 16 Jahre in dem Kreisel.

2008 wurde geschätzt, dass etwa 100 Mio. Tonnen Kunststoffmüll (mit steigender Tendenz) in dem Strudel zirkulieren. Geht man davon aus, dass auch die übrigen vier Müllstrudel eine ähnliche Größe aufweisen, entstünde zusammengerechnet eine Müllinsel von der Größe eines achten Kontinents. Ständig werden weitere Plastikabfälle von Müllhalden an den Küsten direkt ins Meer geleitet. Auch ist es immer noch üblich, dass mit Müll beladene Schiffe ihre Fracht einfach ins Meer kippen, obwohl das Verklappen von Kunststoffabfall seit 1988 verboten ist. Auf hoher See wird der Müll dann durch Wellenbewegung und UV-Licht fortwährend zerkleinert und nach und nach zu feinem Granulat.

Doch damit verschwindet der Müll nicht – er wird sogar noch gefährlicher, weil er so in die Nahrungskette gelangt: Bei hohem Feinheitsgrad werden die winzigen Plastikteilchen, die teilweise kleiner als fünf Millimeter sind, von verschiedenen Meeresbewohnern für Plankton gehalten und als Nahrung aufgenommen. Letztlich landen diese Teilchen dann mit Fischen und Meeresfrüchten potenziell auch auf dem menschlichen Esstisch. Darin enthalten oder anhaftend sind zum Teil krebserregende Stoffe wie DDT, PCB sowie Bisphenol A. Auch der Spülsaum der Meere, einst typisch vielfältig aus Resten von Algen und Muscheln, Holz, Vogelfedern und Seegras, hat nichts mehr mit dem Strandgut von heute zu tun: Es besteht aus Zivilisationsmüll schlimmster Form, aus Verpackungen, Möbel, Kleidung, Metallschrott und Plastik in jeder Form und Farbe.

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The Ocean Cleanup – das große Aufräumen

Deutlich mehr als 140 Milliarden Kilogramm Müll in den Meeren: Bislang ist es aufgrund der riesigen Ausmaße dieses Umweltproblems nicht gelungen, den Plastikmüll in den Ozeanen einzudämmen. Die schwimmenden Abfallberge mit Booten abzufahren und dabei so viel Müll wie möglich einzusammeln, würde Jahrhunderte dauern. Dieser unfassbaren Verschmutzung  will Boyan Slat, ein 19-jähriger Technologie-Student aus den Niederlanden, nun zu Leibe rücken – mit einer Erfindung, die an Einfachheit fast nicht zu überbieten ist.

Mit Hilfe von schwimmenden Sieben, verankert an Stellen mit idealen Meeressströmungen und besonderer Müllkonzentration, sollen die Plastikteile in Auffangvorrichtungen gespült werden. »Über die Meere zu fahren und den Müll einzusammeln, wäre teuer, unbeholfen und würde zudem die Umwelt weiter verschmutzen«, begründet Slat auf der Projekt-Homepage die Idee hinter seiner Erfindung. Sein Ansatz ist deutlich einfacher. »Meine geplanten Sammelstationen bedienen sich der natürlichen Strömung und filtern den Müll aus dem Wasser. Der wird gesammelt und zum Recycling an Land befördert.

Um Lebewesen nicht in Mitleidenschaft zu ziehen, sind keine Netze vorgesehen, sondern riesige Ausleger, die eine Art Trichtersystem bilden. Diese arbeiten nur mit der Kraft der Strömung – Tiere können also einfach wieder daraus entkommen.« Mehrere dieser sogenannten Ocean Cleanup Arrays (OCA) werden am Meeresgrund befestigt und bilden einen Cluster aus Trichtern, in die der Kunststoff ganz von selbst treibt. In der Mitte sitzt eine große Auffanganlage mit einem Filtrierungssystem. Slat schätzt, dass durch das Recycling des Mülls solche Anlagen sogar profitabel arbeiten könnten. Er will ein ganzes Netzwerk aus OCAs aufbauen, um eine möglichst große Fläche abzudecken. Potenziell denkbar wäre es jedenfalls, diese in jedem der fünf weltweit existierenden ozeanischen Wirbeln zu platzieren. Mit nur 24 Stationen könnten bereits über sieben Milliarden Kilogramm Plastikmüll in nur fünf Jahren aus den Meeren gefischt werden. »Das Konzept ist so effizient, dass wir mehr Geld verdienen würden als wir dafür ausgeben müssten«, ist Slat überzeugt.

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Slat hatte »The Ozean Cleanup« erstmals im Herbst 2012 mit großem Erfolg auf der TEDx-Konferenz in Delft vorgestellt. Das Projekt wurde inzwischen auch vom niederländischen Umweltministerium ausgezeichnet und gewann den Best Technical Design Award an der TU Delfs. Bis Juni 2013 konnte Slat auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo die erforderlichen 90.000 US-Dollar für eine Machbarkeitsstudie sammeln, die möglichst rasch beweisen soll, ob die Idee wirklich realistisch ist. Daran sind 50 Ingenieure, Modellbauer und externe Experten beteiligt. Einstweilen sind Boyan Slat und sein Team noch mit der Simulation im Labor beschäftigt, in Kürze aber wird ein Forschungsschiff bereits Kurs auf den ersten Müllteppich nehmen.

Slat will seine ersten Ergebnisse noch in diesem Jahr publizieren. Sollte sich herausstellen, dass die Idee tatsächlich aufgehen kann, will der Jungforscher eine Stiftung etablieren, die dann die eigentliche Umsetzung übernimmt – zusammen mit Partnerorganisationen und der Industrie. Sollte die Studie dagegen zeigen, dass der riesige Filter für Plastikmüll im Meer nicht einsetzbar ist, gibt es einen Plan B. Dann soll das Konzept in abgespeckter Form bei Flussdeltas und Küstengebieten zum Einsatz kommen.

www.boyanslat.com

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