Sophias Happa: Die Grüne-Punkte-Krankheit

Bild : Michèle Pauty

Bild : Michèle Pauty

Es gibt eine Geschichte, die ich nie müde werde zu erzählen, obwohl ich so schon dutzende Male wiedergegeben habe. Heute sollt ihr sie zu lesen bekommen, da sie das Thema für meine letzten zwei Dinner-Abende in Berlin und Wien lieferte.

Es ist die Geschichte von der Grüne-Punkte-Krankheit. Es war eine Faschingsparty im Laderaum auf dem Wiener Badeschiff im Winter 2007. Meine gute Freundin March wusste nicht als was sie sich verkleiden sollte, eines jedoch wusste sie: Ihre absolute Lieblingsfarbe war Grün, sie besaß viele grüne Kleidungsstücke, grüne Haarschleifen und grüne Schuhe. Ausserdem hatte sie zuhause größere Mengen grüne Klebefolie herumliegen und so beschloss sie, sich als „Grüne-Punkte-Krankheit“ zu verkleiden, schnitt in liebevoller Kleinarbeit Punkte aus und beklebte sich von oben bis unten damit. Auf dem äusserst rauschenden Fest sorgte sie zusätzlich dafür, dass alle Menschen in ihrer Umgebung etwas von den Punkten abbekamen. Viele wurden infiziert an diesem Abend und bei Betrachtung der Bilder dieser Feier, gab es schier keines, das nicht gepunktet war.

Das war erst der Anfang. In den folgenden Jahren sorgte sie dafür, dass sich die grünen Punkte auf der ganzen Welt ausbreiteten. Es gab eine Facebook-Seite auf der March und andere reisewütige Freunde Fotos aus aller Herren Länder posteten, Green Dot Disease in Asien, Australien, Meidling, überall. Entweder man fand einen oder brachte selbst einen an, ganz einfach. March versorgte uns mit Klebepunkten, fing bald an T-Shirts zu bedrucken, die statt I Heart ein grünes I . zierte. Spontan beschloss sie eines Tages, sich mit einer Freundin einen Punkt tätowieren zu lassen und schon nach kurzer Zeit zogen einige weitere Freunde mit, inklusive meiner Wenigkeit. Das ganze ging so weit, dass die Königin der grünen Punkte ihr komplettes Wohnzimmer in eine dauerhafte Punkte-Installation verwandelte, sie lebte darin.

Im August 2011 wurde March aus dem Leben gerissen. Am Berliner Flughafen brach sie mit einer Gehirnblutung zusammen und verstarb, nach eineinhalb Wochen zwischen Hoffnung und Resignation kurz nach ihrem 33.Geburtstag, den sie mit uns in Berlin hatte feiern wollen. Dies war für mich und alle Freunde ein unbeschreiblicher Verlust und eine schreckliche, schmerzhafte Erfahrung. Noch heute fehlt sie mir in manchen Momenten so sehr! Selbst auf der Intensivstation, kurz bevor sie ging, war immer irgendwie ein grüner Punkt. Zu ihrem Begräbnis ließen wir grüne Luftballons steigen.

Tod ist ein Teil unseres Lebens, der Verlust eines geliebten Menschen abscheulich. Wenn ich grüne Punkte sehe, muss ich noch heute an meine Freundin denken, wir, ihre Freunde, haben die Krankheit weiter ausgebreitet, es scheint mir unsere Pflicht. So war es auch schon seit langem überfällig, ein Dinner zu kochen, in dem sich diese Punkte wiederfinden. Essen macht glücklich und ich bin mir sicher, es hätte ihr gefallen!
Am 26.09. in Berlin und am 15.10. in Wien gab es deshalb folgendes zu essen:

The Green Dot Disease

Amuse Gueule: Pikanter Strudel mit Kokos-Rotkohl und grünen Bohnen-Punkten
Starter: Zucchini-Pasta mit Kapern und selbstgemachten Pesto-Punkten
Hauptgang: Dreierlei Pü (Masala-Süßkartoffel/Alpensalz-Blaukartoffel/Kartoffel-Steckrübe-Pinkie) mit glasigen Erbsen-Punkten und Knusperapfel
Dessert: Buchweizen-Crepe mit Kiwi- und Trauben-Punkten und selbstgerührter Nutella

 

Sophia Hoffmann lebt als freie Journalistin in Berlin. Irgendwann fing sie auf ihrem Blog www.oh-sophia.net an Fotos von ihren Gerichten zu veröffentlichen. Die Resonanz war groß und seit Frühjahr 2012 organisiert sie regelmäßige Dinner-Abende, zu denen sie 4-Gänge-Menüs für bis zu 40 Gäste zubereitet. 

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