„Ohne die Realität zu erfassen, kann man nichts ändern“
Die Ausstellung „Das Geschäft mit dem Tod – das letzte Artensterben?“ im Naturhistorischen Museum Wien ist gerade angelaufen. BIORAMA hat mit Dr. Andreas Hantschk, Mitarbeiter der Abteilung Ausstellung und Bildung, über bedrohte Arten, noch unbekannte bedrohte Arten und über die relativ neue Problematik der Übersäuerung der Weltmeere gesprochen.
Die schockierenden Bilder von abgeschossenen Nashörnern und getöteten Elefanten kennen wir inzwischen nicht nur aus National Geographic oder Aussendungen von NGOs, sondern auch aus den Massenmedien. Nashörner werden in Naturhistorischen Museen oder Jagdstüberln in Mitteleuropa gestohlen oder man schneidet ihnen das wertvolle Horn gleich vor Ort ab. Mittlerweile ist auch im Naturhistorischen Museum in Wien die Nashorn-Vitrine alarmgesichert und mit einem entsprechenden Text versehen. Die Idee von Artenschutz in der Naturwissenschaft ist andererseits nicht neu, denn bevor eine Art geschützt werden kann, muss sie erst erkannt werden. Es gibt laut Schätzungen zwischen zehn und 100 Millionen Arten auf unserem Planeten, darunter fallen unzählige kleine Tierarten wie Insekten und ähnliche Krabbeltiere. Um dieses Heer der Unbekannten zu bestimmen, bedarf es Experten. Im Naturhistorischen Museum in Wien gibt es für viele Tiergruppen Weltexperten, die sagen können: Das ist diese oder jene Wanze, das ist dieser oder jener Käfer. Solche Experten sind auch die einzigen, die Alarm schlagen können, wenn eine Art vom Aussterben gefährdet ist – so wie Dr. Andreas Hantschk.
BIORAMA: Pro Stunde sterben weltweit drei Tier- oder Pflanzenarten aus – wie schwierig war es bei dieser immensen Anzahl Prioritäten in den Ausstellung zu setzen?
Dr. Andreas Hantschk: Man kann sicher nicht alles aufgreifen. Zunächst einmal gibt es neben den Tier- oder Pflanzenarten noch verschiedene andere Organismengruppen wie Pilze, Einzeller oder Bakterien. Darüber wissen wir noch sehr wenig. Tragisch ist, dass von den pro Stunde aussterbenden Arten sehr viele dabei sind, die in der Öffentlichkeit gar nicht erwähnt werden. In der Zeitung wird über das Java-Nashorn oder Lonesome George, die Galapagos-Schildkröte, als bekannte Tiere berichtet. Aber durch die Rodung eines größeren Regenwaldstücks sterben auch hunderte Insektenarten oder Pilzarten. Das ist ein Problem, das an der Öffentlichkeit völlig vorbei geht. Die Priorität dieser Ausstellung liegt eindeutig bei den Tieren. Es gibt aber genauso viele bedrohte Pflanzenarten. Hinter den Kulissen der Schauräume haben wir im Naturhistorischen Museum Wien eine große botanische Abteilung. Um die Öffentlichkeit anzusprechen, haben wir pro Station ein eindrucksvolles Wappentier, wie beispielsweise den Tiger, genommen.
Gegliedert ist die Ausstellung in sechs Stationen, die sich jeweils auf eine Ursache für Artensterben fokussieren. Wie sind die einzelnen Ursachen gewichtet?
Wir haben einige wesentliche Ursachen herausgegriffen, wie die Vergiftung durch die Landwirtschaft. Agrargifte spielen eine große Rolle. Die am meisten bedrohte Wirbeltierklasse, die Amphibien, also Frösche, Molche und Salamander, sind weltweit durch diese Umweltgifte am stärksten gefährdet. In Österreich kennen wir natürlich die überfahrenen Kröten. Es gibt Aktionen, wo Kröten eingesammelt und auf die andere Straßenseite getragen oder Straßen untertunnelt werden, damit die Tiere zum Laichen wandern können. Die eigentliche Ursache für den Rückgang der Amphibien ist aber die Vergiftung unserer Biosphäre. Amphibien sind diesen Giften aufgrund ihrer dünnen Haut schutzlos ausgeliefert.
Eine weitere Station ist der Zerstörung der natürlichen Lebensräume gewidmet. Dies ist die hauptsächliche Ursache für den Rückgang der Arten, wie von allen Wissenschaftlern der Welt einstimmig festgehalten wird. Damit ist die Rodung der Regenwälder, aber genauso die Vernichtung von natürlichen Flächen vor unserer Haustüre gemeint. Die erste Station ist aber die direkte Verfolgung von Tieren, die älteste Ursache des Artensterbens. Seit dem Ende der Eiszeit töten Menschen gewisse Tierarten und rotten sie damit aus. Als heimisches Wappentier haben wir den Braunbären als Paradetier vorgestellt, denn dieser ist hierzulande zweimal ausgestorben: Nachdem er wie andere große Beutegreifer in Österreich, wie Luchs oder Wolf, am Ende des 19. Jahrhunderts als Nahrungskonkurrent ausgerottet wurde, wurde der Braunbär durch illegale Abschüsse von Jägern – von Verbrechern wenn Sie mich fragen – ein zweites Mal ausgerottet. Und das in einem der reichsten Länder der Welt, wo kein Mensch Hunger leidet und kein Mensch darauf angewiesen ist, sich ein Bärenfell umzuhängen, weil ihm kalt ist.
Als weitere Ursache des Artensterbens thematisiert die Ausstellung auch die Übersäuerung der Meere, eine, neben der Erwärmung des Klimas, noch eher unbekannte Folge des hohen CO₂-Ausstoßes.
Der CO₂-Gehalt der Weltmeere steigt ebenso wie der CO₂-Gehalt der Atmosphäre. Dadurch entsteht Kohlensäure, die die kalkhaltigen Panzer und Schalen von verschiedenen Einzellern, auflöst. Durch die Kohlensäure sinkt der ph-Wert der Weltmeere, und die Meere werden saurer. Das betrifft keine großen Wappentiere, wie Eisbär, Blauwal oder Thunfisch, aber Lebewesen, die für das globale Ökosystem fast noch wichtiger sind, nämlich die Primärproduzenten. Wenn die Primärproduktion ausfällt, weil die einzelligen Algen absterben, weil die Kalkschalen der Einzeller aufgelöst werden, dann hat das eine große Auswirkung auf die Basis unserer gesamten Nahrungskette, und das ist sehr gefährlich. Wir werden in den nächsten Jahrzehnten sicher massiv mit diesem Problem zu kämpfen haben, wenn der CO₂-Ausstoß nicht reduziert wird.
Welche Aspekte der Ausstellung waren für Sie als Zoologe besonders wichtig zu betonen? Was lag Ihnen am Herzen?
Mir persönlich liegen die einheimischen Tiere am Herzen. Diese Tiere sind ebenfalls bedroht und das direkt vor unserer Haustüre. Ich finde, man soll nicht immer mit dem Finger auf Länder zeigen, wo es vielleicht noch schlimmer ist, wo die Gesetze schlechter und die Politiker noch korrupter sind. In Ländern wie Zentralafrika wird der Urwald leergeschossen – aber mit Sicherheit von Menschen, die weitaus weniger verdienen als wir, die auch nicht in den Supermarkt gehen und Fleisch vom Schweinderl oder vom Henderl in jeder Menge kaufen können, sondern vielleicht sogar darauf angewiesen sind, diese Tiere zu erlegen, auch wenn das ökologisch eine Katastrophe ist. Dass es aber in Österreich, einem der reichsten Länder der Welt, so bergab geht mit der Biodiversität, schockiert mich ganz besonders. Der dritte Raum unserer Ausstellung ist den einheimischen „Roten Listen“ gewidmet. Dabei sieht man, dass bereits Allerweltstiere wie Erdkröte oder Feldhamster vom Aussterben bedroht sind. Und dabei ist es in Österreich immer noch möglich Naturschutzgebiete zu beeinflussen und Kleinkraftwerke oder ähnliches in Naturdenkmäler hineinzubauen, wie das jetzt möglicherweise in Niederösterreich der Fall sein wird. Oder die zwei Luchse, die abgeschossen und in einen Bach geschmissen wurden, im Bezirk Melk, NÖ. Wie der WWF und BIORAMA berichteten, entsorgten die Behörden die toten Tiere in der Tierkadaververwertung und die Möglichkeit, die Schuldigen zu bestrafen, ist damit genommen. Das schockiert mich wesentlich mehr als die verheerenden Zustände in Zentralafrika oder in Südostasien.
Sie verwenden mehrmals das Wort „schockierend“ – sieht sich die Ausstellung eher in der Rolle der Aufklärungsarbeit oder als Handlungsaufruf?
Beides. Wir stellen in der Ausstellung die Realität dar. Ob diese Realität schockierend ist oder nicht, ob man das dem Besucher zumuten kann oder nicht, ob man mit Kindern ab dem und dem Alter hineingehen soll oder nicht, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wir haben nicht übertrieben, wir versuchen, die Realität so wie sie ist darzustellen. Ohne die Realität zu erfassen, kann man nichts ändern! Man kann erst was verändern, indem man den Ist-Zustand sachlich erhebt. Die Ausstellung beinhaltet auch einen Handlungsaufruf, die „Was kann ich selber tun?“- Hinweise in grüner Schrift. Am meisten kann man als Bürger mit dem eigenen Einkaufsverhalten bewirken. Palmöl wird sehr heftig diskutiert, dieses Öl kommt aus weit entfernten Tropenregionen, aus Südostasien oder Afrika, und dort werden für den Anbau der Palmölplantagen immer noch – teilweise völlig illegal – große Tropenwaldbereiche abgeholzt. Das heißt, man kann als Konsument schauen, ob in einem Produkt Palmöl drinnen ist. Am meisten kann man bei Meeresprodukten tun, es gibt das blaue MSC-Umweltsiegel, auf das man schauen kann. Sehr einfach wäre es auch, auf den Genuss von Meeresprodukten völlig zu verzichten. Ich wage zu behaupten, dass es keinem Österreicher, keiner Österreicherin damit schlechter gehen würde, wenn sie nur einheimische Fische anstatt Meeresfische essen würden. Das löst zwar nicht das Welternährungsproblem, aber das würde zumindest verhindern, dass in Österreich Meeresprodukte eingeführt werden. Wir haben wunderbare einheimische Fische, besser und ökologisch verträglicher vor unserer Haustüre. Das wäre mein persönlicher Aufruf an alle Österreicher, keine Meeresfische mehr zu kaufen!
Nach diesem Aufruf an die Konsumenten – mit welchem Gefühl sollen die Besucher Ihrer Meinung nach die Ausstellung verlassen?
Ein Gefühl, das die Besucher mitnehmen sollen, ist, dass die Situation schon sehr, sehr schlimm ist. Es gibt im Moment wenig Grund zur Freude. Es ist wirklich schockierend, was mit unserer Artenvielfalt passiert, ob das jetzt einzelne Lebewesen wie Nashörner oder die Summe dieser vielen unbekannten Arten sind. Das zweite Gefühl, das man mitnehmen soll, ist, dass es in Österreich nicht besser ist als anderswo. Wir möchten wirklich vermeiden, mit dem Finger auf die sogenannte Dritte Welt zu zeigen. Kriminelle Banden metzeln Nashörner in Südafrika nieder, es herrscht ein regelrechter Krieg um diese Hörner, um sich damit eine goldene Nase zu verdienen. Wenn bei uns in Österreich die letzten Bären abgeschossen werden und durch illegale Abschüsse der Weiterbestand der Luchse am seidenen Faden hängt, dann ist das um nichts besser. Man soll die Ausstellung vielleicht mit dem Gedanken verlassen, dass es eine Sekunde vor 12 ist, aber für viele Arten ist es noch nicht zu spät – und man kann selber etwas tun!
Man kann also noch etwas tun! Das ist ja eigentlich doch positiv.
Ja, klar. Es ist uns sehr wichtig, dass wir nicht nur die schlimme Realität abbilden, sondern immer auch einen Ausweg aus dieser Situation aufzeigen. Wenn man Lebensräume schützt, so wie es z.B. im Nationalpark Donau-Auen der Fall ist – denn auch die Donau- Auen hingen ja vor mehr als zwanzig Jahren am seidenen Faden und man hat tatsächlich diese letzte Aulandschaft durch ein großes Kraftwerk völlig zerstören wollen – auch wenn es nur Restlebensräume sind, man kann den Tieren dadurch helfen.
„Das Geschäft mit dem Tod – das letzte Artensterben?“
23. Oktober 2013 – 21. April 2014
Naturhistorisches Museum (NHM)
Burgring 7, 1010 Wien
Die Sonderausstellung informiert über das menschengemachte Artensterben. Dabei werden der Verlust von Lebensräumen, schwindende Ressourcen und sich verändernde klimatische Bedingungen, genauso wie Wilderei und der illegale Handel mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten als Gründe für den Rückgang von Biodiversität thematisiert. In Kooperation mit dem NHM und dem WWF präsentiert BIORAMA in einer neuen Online-Rubrik „Die bedrohte Art der Woche“ wöchentlich eine vom Aussterben bedrohte Tierart.