Wie in Schulen gelehrt wird oder wie Kinder verdorben werden

Schule in China Bild: Filmladen Filmverleih

Schule in China
Bild: Filmladen Filmverleih

Am 11. Oktober startet Erwin Wagenhofers neue Dokumentation „Alphabet“ in den österreichischen Kinos. Sie ist eine Reise zu Bildungsinstituten überall auf der Welt, wo Wissen nach strengen Regeln weitergegeben wird. Dem alten System stehen neue Denkmodelle gegenüber, die nötiger sind denn je, „denn die Standardantwort tötet die Kreativität …“

„… der Chinesen“, geht das Zitat von Yang Dongping, Professor am Institut für Pädagogik an der Naturwissenschaftlichen Universität in Bejing, weiter. Neben seiner lehrenden Tätigkeit ist er Leiter der Organisation „Bildung des 21. Jahrhunderts“ und arbeitet so am chinesischen Bildungssystem mit, das er so heftig kritisiert. China ist bei Bildungsstatistiken das Vorzeigeland und belegt bei allen PISA Studien Stockerlplätze. Immer schneller und immer mehr standardisiertes Wissen wird in die Schüler, die ihre Eltern um die freien Wochenenden und Abende vor dem Fernseher beneiden, reingepumpt. „China ist auf dem besten Weg“, bestärkt der PISA-Erfinder Andreas Schleicher Chinas Bildungsdoktrin.

Bildung ist ein Universalthema, jeder kann seinen Senf dazu geben, denn jeder war einmal in der Schule. Dementsprechend vielfältig fällt Erwin Wagenhofers Auswahl der Protagonisten aus, wobei auch einige professionelle Expertenmeinungen dabei sind. Er untersucht, welche unterschiedliche Auffassungen sie von Bildung haben. Einige der Befragten sind Rebellen, die  sich für einen Neuanfang aussprechen. Die meisten Stunden in der Schule und am Schreibtisch verbringen die chinesischen Kinder, sie sind auch weltweit die Unglücklichsten. Das moderne Schulsystem raubt Kindern ihre Kindheit ist der Konsens der Rebellen. Es ist nach den Erfordernissen der industrialisierten Wirtschaft geschaffen, erziehe Menschen zu Maschinen, kritisiert Sir Ken Robinson. Damals brauchte man Menschen, die in Fabriken und im Krieg funktionieren. Heute stehen wir vor anderen Herausforderungen, Roboter sind jedoch nicht fähig sich ihnen eigenständig zu stellen und kreative Lösungen für ungewöhnliche Probleme zu finden.

Unangepasste Stimmen im Leistungssystem

„Wir sollen Maschinen, die funktionieren und das mindestens zehn Stunden am Tag. Aber funktionieren heißt nicht gleich lernen. Lernen bedeutet nämlich vor allem eins: Erfahrungen sammeln“, schreibt die damals 15-jährige Schülerin Yakamoz Karakurt 2011 in ihrem Protestbrief, den die renommierte deutsche Wochenzeitung Die Zeit abdruckte.

Yakomaz-Karakurt Bild: Filmladen Filmverleih

Yakomaz-Karakurt
Bild: Filmladen Filmverleih

Wer sich diesem Stress nicht anpassen kann und nicht mitkommt, der gehört zu den Verlieren. Nicht nur in der Schule, sondern im Leben. Patrick Kuhn etwa arbeitet hart seinem Aufstieg. Er war zwar kein schlechter Schüler, aber in der Hauptschule und findet heute keinen Ausbildungsplatz. Deswegen arbeitet er als Nachtwächter bei einer Sicherheitsfirma, ein Hilfsarbeiterjob. Er verdient zu wenig, um sich ein ganzes Monat lang mit Lebensmitteln zu versorgen. Noch ist Patrick nicht komplett apathisch, sondern versucht sich gegen seine Situation zu wehren und Hilfe gegen seine Ratlosigkeit zu suchen. Doch niemand fühlt sich verantwortlich.

Erwin Wagenhofer zeichnet ein polarisiertes und radikales Bild des Bildungssystems. Egal, ob in China, Deutschland oder Spanien, Leistungsdruck, Standardisierung und Chancenungleichheit dominieren das System. Es richtet Menschen zu Maschinen ab. Damit muss Schluss sein, fordert Sir Ken Robinson und zitiert Benjamin Franklin: „All mankind is divided into three groups: those that are immovable, those that are movable and those that move” und setzt hinzu: „And I encourage you to move and get a move on.“ Noch ist es so: Wer die richtige Bildungsinstitution besucht hat, wer seine Kindheit der Schul- und Universitätsbildung geopfert hat, wer die Antworten gibt, die erwartet werden, gelangt an die Spitze, um zu tun, was in der Jobbeschreibung steht und andere erwarten. Darauf bereiten sich die Teilnehmer des Wettbewerbs „CEO of the Future“ vor.

Ohne Schule

Das es auch anders gehen kann, zeigt Wagenhofer am Beispiel von André Stern. Er hat niemals eine Schule besucht und hat sich mit kindlicher Wissbegierde zu einem erfolgreichem Erwachsenen entwickelt, der keine Grenzen des selbstständigen Lernens kennt. Er ist Gitarrenbauer, Musiker und Autor. Arno Stern, Andrés Vater, ist ein von den United Nations anerkannter Pädagoge, ohne jemals eine Ausbildung in die Richtung gemacht zu haben. Er hat in der Nachkriegszeit den Malort  in Paris gegründet, wo sich Kinder und Erwachsene malerisch selbst entdecken können. „Jeder Mensch ist genial, wenn man ihm es gewährt“, bestätigt er eine Langzeitstudie, die Kinder verschiedener Altersgruppen auf die Fähigkeit unangepasst zu denken testete. 98 Prozent der Altersgruppe der Drei- bis Fünfjährigen wurden dabei als „genial“ bewertet, wohingegen unter den Volljährigen nur zwei Prozent als Genies befunden werden. Sie haben ihre Phantasie verloren und die Fähigkeit die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen, nicht nur nach dem konventionellen Mantra. Wo? Wahrscheinlich in der Schule.

Malort von Arno Stern Bild: Filmladen Filmverleih

Malort von Arno Stern
Bild: Filmladen Filmverleih

Wie auch schon in Erwin Wagenhofers letzten Dokumentationen „We feed the World“ und „Let’s make Money“ zieht sich ein kapitalismuskritischer Beigeschmack wie ein roten Faden durch den Film, allerdings auf eine subtilere Art und Weise als in seinen Vorgängerdokus. Er formuliert eine Anthithese gegen das gängige Bildungsparadigma, zeigt, dass Intelligenz auch anders gefördert werden kann als in der Schule. Das schafft er mit klassischen Stilmitteln des Dokumentarfilms und verzichtet auf jegliche Art der Selbstdarstellung. Wagenhofer überlässt das Urteil, wohin der neue Weg gehen könnte, den Zusehern und präsentiert lediglich, was möglich ist – mit einer Ausnahme: Die Mehrheit der Protagonisten spricht, möglicherweise an seiner statt, ein Plädoyer für Chancengleichheit. Move.

 

„Alphabet“
Eine Dokumentation von Erwin Wagenhofer
Kinostart Österreich: 11. Oktober 2013
Kinostart Deutschland: 31. Oktober 2013

www.alphabet-derfilm.at

 

http://www.youtube.com/watch?v=xwuqL2pPFvo

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