Larven als Nahrungsmittel – Do It Yourself

Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte Kunst Wien

Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte Kunst Wien

Knusprig, nussig und vor allem: mit viel Protein – Insekten und Würmer sind nicht nur immer öfter auf  Speisekarten expertimentierfreudiger Gastronomen zu finden, sie könnten dazu beitragen die große erwartete  Nahrungsmittelkrise einzudämmen. Eine Wiener Studentin hat nun den Insektenbrutkasten für zuhause entwickelt.

Insekten essen? Warum nicht. Bis 2050 soll die Weltbevölkerung auf neun Milliarden anwachsen. Der Lebensmittelbedarf steigt nach aktuellen Schätzungen der Food and Agricultural Organizaiton der United Nations (FAO) um 70 Prozent. Auf unserer Erde gibt es aber nicht genug Fläche, um doppelt so viel Fleisch zu produzieren wie heute. Das, schätzen Experten, wäre aber nötig. Deshalb brauchen wir Alternativen. Eine davon hat sich Katharina Unger in ihrem Abschlussprojekt an der Universität für angewandte Kunst überlegt: FARM 432, einen Insektenbrutkasten zur Aufzucht von schwarzen Soldatenlarve für den Eigenbedarf. Anfänglichem Ekel folgte große Neugierde, erzählt sie im BIORAMA-Interview. Ihr Projekt basiert auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage: Auch die FAO sieht in Insekten das Nahrungsmittel der Zukunft. Der Proteingehalt ist wesentlich höher als der von Fleisch.

BIORAMA: Wie isst du deine Larven eigentlich am liebsten?

Katharina Unger: In den letzten vier Monaten, also während der Projektentwicklung, habe ich einiges ausprobiert, sie auf verschiedene Arten gekocht und gebraten. Bis jetzt habe ich aber vor allem dieses eine Rezept gemacht und zwar ist das Tomaten-Larven-Risotto. Das ist Wildreis gemischt mit parboiled Reis, ganz viel Tomate, etwas Parmesan und Gewürze. Die Larven werden natürlich auch noch hinzugefügt. Die sind gefroren und müssen separat gekocht werden, bevor sie ins Risotto kommen. Der Geschmack ergänzt sich ganz gut, schmeckt sehr lecker. Jetzt musste ich meine Zucht allerdings aufgeben, da ich ins Ausland gehe.

Larvenrisotto Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte  Kunst Wien

Larven-Risotto
Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte Kunst Wien

Wir haben in der Redaktion eine Umfrage gemacht, wie viele der jetzt fleischessenden Kollegen auf Insekten umstellen oder sich lieber komplett vegetarisch ernähren würden. Eine Mehrheit hat sich für die vegetarische Option entschieden. Wie erklärst du dir, dass 80 Prozent der Weltbevölkerung Insekten bereits als normales Nahrungsmittel verzehren, in unseren Breitengraden aber so viele Berührungsängste vorhanden sind?

Im westlichen Raum sind viele negative Assoziationen mit Insekten vorhanden. Wir assoziieren schon seit sehr langer Zeit Insekten mit Fäkalien, Missernten und Plagen. Diese Eindrücke sind fest und tief verwurzelt im Menschen. Bei uns hat es außerdem schon sehr lange keine Hungersnöte mehr gegeben, das heißt, es war einfach nicht notwendig, Insekten zu essen. Sie sind ja auch nicht so einfach zu fangen. Dadurch, glaube ich, hat sich die Kultur bei uns in diese Richtung entwickelt, Insekten nicht zu essen.

Du bist ja ebenso in diesem kulturellen Umfeld aufgewachsen. Wie bist du im Rahmen deines Studiums Industrial Design an der Universität für angewandte Kunst auf die Idee gekommen, einen Insektenbrutkasten zur Erzeugung des Eigenbedarfs zu entwickeln?

Ich habe ursprünglich mit dem Thema Massentierhaltung gestartet. Das war im März. Ich wollte unbedingt etwas mit der Thematik Fleisch machen und habe meine intensive Recherche auf momentane Tierhaltung und Fleischproduktion ausgerichtet. Im Endeffekt bin ich dann zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht zu diesem System beitragen möchte. Alles was ich dann designen würde und mit Innovation versehen würde, wäre, wenn auch indirekt, immer diesem System zuträglich. Das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, weshalb ich mir dann gesagt habe „Nein, ich mache etwas total anders“. Ich habe mir die Alternativen angeschaut und die Insekten gefunden. Dass es dann eine Insektenzuchtmaschine wurde, war, weil ich etwas machen wollte, womit sich Leute gegen dieses System stellen können und somit ihr Protein selber erzeugen können und nicht wieder von der großen Massenproduktion abhängig sind. Denn auch bei der Massenproduktion von Insekten gibt es gewisse Problematiken, die dahinter stehen. Noch kann man das nicht gut einschätzen, weil Insekten noch nicht in dieser Masse für den menschlichen Konsum gezüchtet werden. Man geht aber davon aus, dass man auch hier Antibiotika einsetzen müsste, um so große Populationen gesund zu erhalten. Deswegen habe ich mich für die Entwicklung eines Geräts für den Eigenbedarf entschieden.

Vermutlich haben wenige Westler in ihrem Leben schon Insekten gegessen oder gezüchtet – wie funktioniert dein Insektenbrutkasten?

Es funktioniert folgermaßen: Man erhält das Gerät gemeinsam mit einem Startpaket. In diesem Startpaket sind Larven in verschiedenen Entwicklungsstadien und Eier enthalten. Die werden in den FARM 432 eingesetzt, womit der Zyklus beginnt. Oben in die oberste Box werden die Puppen gesetzt, das sind steife Larven, die aussehen als wären sie tot. Aus diesen Puppen schlüpfen die Fliegen, diese fliegen raus in den Glaskörper, wobei sie ihre leere Hülle, die oft am Hintern kleben bleibt, abstreifen. Dort haben sie auch ein wenig Wasser, Nahrung brauchen sie nicht. Im Larvenstadium akkumulieren sie nämlich schon so viel Protein, dass sie in ihren acht Tagen als Fliege ohne Nahrungsaufnahme auskommen. Im Glaskörper fliegen sie herum und paaren sich. Ihre Eier – eine Fliege produziert bis zu 1.200 Eier – legen sie in diese vulkanartige Landschaft. Dort schlüpfen die Larven und fallen in das zweite Volumen, wo man sie mit Bioabfall füttert. Wenn sie nach ca. zwei Wochen reif sind, klettern sie auf der Suche nach einem trockenen und angenehmen Ort, um sich zu verpuppen, die Rampe rauf und fallen dann dort runter in die Schublade zum Ernten. Einen Teil davon isst man. Den anderen selektiert man zur Nachzucht und setzt ihn in den oberen Behälter, so dass der Zyklus von Neuem beginnen kann. Pro Woche kann man so etwa 500 Gramm dieser Larven erzeugen und ernten.

Woher beziehst du denn die Erstbrut für das Starterpaket?

Ich habe meine Erstbrut aus Deutschland und sie im Internet bestellt. Das waren eigentlich Larven, die als Tierfutter verkauft werden. Diese Larven waren also meine Starlarven, mit denen ich meine eigene Kolonie gezüchtet habe. Ich stelle mir das aber beim Vertrieb des FARM 432 so vor, dass sich dazu eine Community bildet, sprich wie eine Website oder einen Blog, wo sich Gleichgesinnte anmelden und sammeln und innerhalb dessen Erfahrungen, Rezepte und Puppen austauschen kann. Insektenkolonien kann man nämlich in so einem abgeschlossenen System nicht auf ewig fortführen. Irgendwann muss man wieder frische DNA reinbringen. Dafür braucht man frische Puppen, wie zum Beispiel aus einer solchen Community.

Welche Art von Insektenlarven kann man denn für dein Gerät verwenden – alle oder spezielle?

Diese Zuchtmaschine ist nur für eine bestimmte Fliegenlarve geeignet: die schwarze Soldatenfliege und ihre Larven. Diese hat die spezielle Eigenschaft, dass sie sich selber erntet und sich dabei auch noch selber säubert, keine Nahrung zu sich nimmt und dadurch keine Krankheiten auf den Menschen überträgt. Sie hat also sehr viele biologische Vorteile, die in der Zucht einiges vereinfachen. Man könnte andenken, das Gerät für andere Arten zu transformieren, womit es sich aber auf jeden Fall verändern würde. Mir ist allerdings keine Larvenart bekannt, die auch diese Eigenschaften vereint.

Die Metamorphose der schwarzen Soldatenfliege Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte  Kunst Wien

Die Metamorphose der schwarzen Soldatenfliege
Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte Kunst Wien

Gibt es bei deinem Projekt eine Verbindung zur Kunst?

Nicht direkt. Das Design hat sich aus funktionalen Aspekten abgeleitet, aber eigentlich aus intuitiven Erfahrungen. Es streift an der Kunst, es ist ganz einfach angewandte Kunst. Der FARM 432 ist auf keinen Fall ein Kunstwerk, das geschaffen ist, um es zu betrachten. Er soll schon benutzt werden. Er soll ein Objekt sein, dass Leute dazu anstößt, umzudenken und nachzudenken, ob es alternative für Proteinquellen auf der Welt gibt, die man nutzen kann. Es soll helfen, zu erkennen, dass das vielleicht doch nicht so grausig ist. Er soll aufzeigen, dass Insekten als Alternative mit vielen Vorteilen vorhanden sind und ihre Züchtung auch physisch machbar, sogar leichter, ist.

Ist es also deine Absicht mit dem Projekt Insekten vom Feld in jedermanns Wohnzimmer und Küche zu bringen bzw. das Insekt anstelle von Fleisch zu etablieren?

Ich würde nicht sagen, dass Insekten Fleisch total ersetzen sollen, aber wir essen eigentlich zu viel Fleisch, mehr als gesund ist. Insekten sind eine Variante, wie man sich alternativ ernähren kann. Entomophagie ist eine Form, ein Lebensstil, den man bewusst wählt. Wenn man sich dazu entscheidet, Insekten zu züchten und zu essen, dann ist das ein Statement. Insofern ist dieses Projekt auch ein Statement und zeigt eine Option auf, die möglich ist und wie wir vielleicht eine zukünftige Ernährungskrise mitlösen können.

Nach einer Studie von der Statistik Austria isst ein durchschnittlicher Österreicher 6,6 Kilogramm Fleisch pro Monat. Glaubst du, dass in naher Zukunft Larven und Heuschrecken das Nahrungsmittel Fleisch in der westlichen Zivilisation ersetzen oder teilweise ersetzen werden?

Ich kann mir das schon gut vorstellen. Ich muss zugeben, am Beginn meines Projektes war ich mir da nicht so sicher. Nachdem ich dann selber gekostet, einige Dinge ausprobiert und sie selbst gezüchtet habe, bin ich mir ziemlich sicher, dass das auf irgendeine Art und Weise Einzug halten wird, da die Reaktionen auf mein Projekt sehr positiv ist. Natürlich gibt es viele Vorurteile, aber das Interesse überwiegt. Wenn Leute anfangen, das in einer anderen Art und Weise zu assoziieren, zum Beispiel, dass sie Insekten mehr als so etwas sehen wie Meeresfrüchte und Shrimps, dann dreht sich der Spieß um. Letztes Wochenende habe ich eine Grillparty gemacht. Da waren schon ein paar Leute, die dem gegenüber sehr skeptisch waren und gezögert haben, Grashüpfer zu essen. Im Endeffekt hat aber jeder gesagt, das habe gut geschmeckt. Ich glaube, es ist auch eine Frage des Angebots. Sobald etwas ernsthaft auf dem Markt angeboten wird, wird es auch angenommen werden.

FARM432 Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte  Kunst Wien

FARM432
Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte Kunst Wien

Die Präsentation deines Projekts ist ja kaum zwei Monate her – haben sich bei dir schon interessierte Käufer und Unternehmen gemeldet, die dein Projekt für die Masse zugänglich machen möchten?

Seit der Veröffentlichung bekomme ich jeden Tag unzählige Anfragen von verschiedensten Leuten aus der ganzen Welt, die sich total dafür interessieren, auch immer mehr Restaurants, die das anbieten wollen. Aus Europa kommt eher weniger, viel aus Amerika, Afrika und Südostasien. Der FARM 432 müsste allerdings noch durch einige Tests laufen und ein paar Details müssten wahrscheinlich verändert werden. Genaueres kann ich aber noch nicht sagen. Ich war jedenfalls selber total baff, dass die Resonanz so groß ist.

Vor kurzem haben wir auf unserer Website über künstlich hergestelltes Fleisch berichtet – warum ist der Verzehr von Insekten die bessere Idee zur Lösung des steigenden Lebensmittelbedarfs und nicht z.B. in der Eprovete gezüchtetes Fleisch?

Bei künstlich hergestelltem Fleisch braucht man wieder Ressourcen, wenn auch natürlich deutlich weniger als bei normal produziertem Fleisch. Außerdem ist die eigene Herstellung sehr schwierig, denn dieser Prozess ist High-tech. Dadurch ist man wieder von einem bestimmen System abhängig. Das Fleisch, wenn es auch künstlich produziert und ethisch korrekter sein mag, wird trotzdem auf  eine Art und Weise produziert, auf die man als Konsument keinen Einfluss hat und man sich vorschreiben lassen muss, was man isst. Die Insekten kann ich hingegen ressourcenarm produzieren: Gefüttert werden sie mit Bioabfall, weshalb sie nicht oder kaum in Konkurrenz mit vegetarischer Ernährung stehen und sie benötigen kaum Wasser. Mir ist nicht bekannt, wie viele Ressourcen man bei der Erzeugung von künstlichem Fleisch braucht, aber bei der Zucht von Insekten erzeugt man auch kaum CO2.

Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte  Kunst Wien

Ein Vergleich: Der Nährstoffgehalt von Grashüpfern und Rindfleisch Bild: Katharina Unger / Universität für angewandte Kunst Wien

Wie viel von deinen persönlichen Ambitionen steckt in deinem Forschungsthema – hast du dir damit auch überlegt, wie du deinen eigenen Fleischkonsum reduzieren kannst? 

Ja, schon. Ich esse generell sehr wenig Fleisch. Meine Eltern haben einen kleinen Bio-Betrieb mit Freilandrindern. Ich bin vor allem durch mein Projekt skeptischer geworden, was Supermarktfleisch  oder -wurst betrifft. Ich sehe Insekten auf jeden Fall als Alternative oder Ergänzung – sie sind eine spannende, neue Nahrungsquelle, auch wenn man sich manchmal bei bestimmten Arten ekelt.

Mit deinem Projekt hast du dich ja, wie du schon erwähnt hast, einem Selbstversuch unterzogen. Wie war es das erste Mal eine Larve zu kochen und zu essen?

Beim ersten Mal war ich schon sehr nervös. Ich habe mir verschiedene Insekten besorgt, wobei mir dann retrospektiv die Verarbeitung gar nicht  so unangenehm war. Es war eigentlich auch okay, als ich sie gegessen habe. Der einzige totale Grausfaktor war das Berühren der Insekten, sprich das Fangen der Grashüpfer, die Wiederhacken auf den Beinchen haben und deshalb an den Fingern hängen bleiben, oder das Rausfischen der Mehlwürmer aus dem Mehl. Deshalb war es für mich klar, dass das Gerät, das ich entwickeln werde, etwas sein muss, wo man die Insekten nicht berühren muss. Damit hat sich die schwarze Soldatenfliege angeboten, weil sie selbst rausklettert – ohne Berührung. Das Risiko, dass sie ausbrechen und sich im menschlichem Haushalt einnisten, ist auch relativ gering. Sie sind nicht wie lästige Hausfliegen, die sich überall drauf setzen, sondern fliegen unglaublich langsam und träge, was sehr lustig zum Anschauen ist, und dementsprechend kann man sie auch leicht einfangen. Viele verwechseln die Hausfliege mit den schwarzen Soldatenfliegen – sie ist aber eine eigenständige Art, verhält sich anders und überträgt keine Krankheiten.

Wonach schmecken die Larven der schwarzen Soldatenfliegen ?

Wenn man sie kocht, riechen sie nach gekochten Kartoffeln, total nach Stärke. Außen sind sie etwas härter als im Inneren. Man muss deshalb schauen, dass man sie nicht zu kross anbrät, sonst ist es ein bisschen unangenehm, weil das Äußere total hart wird. Also, schonend garen und anbraten! Der Geschmack ist ein total eigeständiger. Man könnte ihn vielleicht als etwas nussig und die Konsistenz als ein bisschen fleischig beschreiben. Ja, man muss es einfach probieren. Am Anfang ist es wohl ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber vor allem wegen der negativen Assoziationen. Das legt sich aber und dann schmeckt es eigentlich wirklich gut.

 

www.kunger.at

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