Die feinen Unterschiede
In Berlin gibt es die ganze Palette biologischer und veganer Lokale. Dazu gehören auch eitle Schuppen wie das Margaux, das Katz Orange oder das Cookies Cream. Gut so.
Rechts unten: American-Express-Logo. In der Mitte: Ficken. Beides steht auf einem großformatigen Ölbild, das über abgewetzten Möbeln hängt. Willkommen im Cookies Cream. Die Website des Berliner Restaurants begrüßt die Besucher mit zwei Models, die im grellen Blitzlicht von der Prachtpromenade Unter den Linden über einen schäbigen Hinterhof zur Eingangstür hineinstöckeln. Auf der Karte etwa: Dreierlei Karotte als Vorspeise, Linsen mit Zucchiniblüten, gefüllte Kartoffeltarte mit Cardoncelli. Dazu Vöslauer Mineralwasser. Das Cookies Cream ist nicht unbedingt das, was man sich als durchschnittlicher Allesfresser unter einem veganen Restaurant vorstellt. Auch weil ein Nachtclub um die Ecke dazugehört, der ziemlich coole DJs nach Berlin Mitte bringt. Die deutschen New-Rave-Nasen von Digitalism schauen hier mit Platten vorbei, wie auch Smudo und Michi Beck von den Fantastischen Vier oder die Martini Brös. Typisch Berlin, könnte man jetzt sagen. Wo ein Keller ist, ist auch ein Soundsystem und also die nächste Party am Start. Aber nein, die Verbindung von Club und veganem Restaurant ist auch in der Arm-aber-sexy-Hauptstadt ungewöhnlich. Ganz besonders im Zentrum, in Berlin Mitte, wo im ehemaligen Niemandsland zwischen DDR und BRD die wilden Technotresors schon lange durch gläserne, stahlblaugraue Bundesämter und Versicherungsbauten verdrängt wurden. Zwischendrin das Cookies Cream, ein veganes Restaurant für Leute, die an einem Tag die Vogue, am anderen das Vice lesen.
Acht geben auf das Essen
Das Cookies Cream macht genau einen dieser feinen Unterschiede aus, die der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seinem Standardwerk »Die feinen Unterschiede« beschreibt. Ihm zufolge grenzen sich Menschen tagtäglich von anderen ab und bilden wiederum Gruppen. Das Großbürgertum geht in die Oper, isst Fasan und Kaviar, Arbeiter geben ein Stück Butter in den Filterkaffee und schauen Ringkampf – so war das irgendwann, früher einmal. Über die Jahre haben sich diese sozialen Mechanismen vielfach verästelt und verfeinert. Und fast nichts dient so grundsätzlich der Abgrenzung wie Essen. Es ist kein Wunder, dass es in Religionen fast immer Essensvorschriften gibt. Aber auch Vegetarismus und Veganismus breiten sich zuerst einmal in gebildeten Schichten aus, bei denen, die es sich leisten können und wollen, auf ihre Ernährung Acht zu geben. Wenn nun Berlin ein erfreulich reichhaltiges Angebot an Bio- und vegetarischen Restaurants entwickelt hat, dann unterscheiden sich die natürlich voneinander, müssen sie. Zum Beispiel, ebenfalls Unter den Linden, steht das Margaux.
Bio-Pomp und noble Nachhaltigkeit
Das Margaux serviert nur Zutaten aus der Region, die ökologisch von Kleinbauern aufgezogen wurden, keine Jungtiere, keine Stopfleber, keinen Thunfisch, sehr viel Pflanzliches. Auf der Website wird das Genusserlebnis schon vorab mit edler Schrift und vielen feinstofflichen Worten hochgeköchelt. Vor Ort kommt man sich schnell zu schlecht angezogen vor, das Porzellan wird laufend ausgetauscht wie auch der Wein und die Texturen der Speisen, die im Mund ineinander greifen. Dem Michelin war das Erlebnis einen Stern wert, dem Gault Millau 18 Punkte. Aber ist denn das wirklich nötig, Haubenküche mit Bio-Pomp? Noble Nachhaltigkeit? Aber ja, unbedingt. Es braucht diese Distinktionsschuppen. Auch sie helfen, die Schwelle für einen sorgsamen Umgang mit dem eigenen Essen zu senken. Warum auch sollten reichere Leute in ihren alten Überfluss-Restaurants bleiben müssen? Wenn man Bio fordert, darf das Angebot nicht nur für die eigenen Ansprüche reichen. Bio-Supermärkte, Bio-Imbisse, Bio-Bäcker, Bio-Eisdielen, Bio-Raststätten, Bio-Beisln, Bio-Haubenküche, Bio-Fast-Food – es braucht all das.
Kochen ohne Zeigefinger
Dazu gehört dann auch ein Restaurant wie das Katz Orange mit seinen kumpelhaften Kellnern, dem bodenständigen Geschirr, den Feldblumen auf dem Tisch, dem improvisierten Charme, den nicht ganz so raffinierten Gerichten. Zutaten aus der Region, so weit es eben geht. Man versucht hier angestrengt unangestrengt rüberzukommen und möchte wohl sagen: Wir sind nicht so gekünstelt wie die anderen, selbst wenn wir wertige Speisen kochen. Die einfachen Saftkaraffen – geschmacklich mit Ingwer, Lavendel-Orange oder Basilikum-Limette – passen dazu natürlich ins Bild. Das Katz Orange kocht ohne Zeigefinger, ohne strengen Kodex. Das hat auch Lou Reed gefallen, er hat dort zweimal hintereinander gegessen. Und der ist immerhin superreich, supercool und Vegetarier – quasi einmal die gesamte Palette der feinen Berliner Unterschiede.