Obacht, explicit lyrics! #vegan
Über den Selbstversuch, sich einen Monat vegan zu ernähren. Bekenntnisse eines „Pseudoveganers“, Woche zwei und drei zusammengefasst.
Ich habe die Sache komplett falsch aufgezogen. Das meint zumindest mein Freund Karli. „Du hättest sagen müssen, du bist ab jetzt vegan, Punkt. Anstatt zu sagen, dass das ein Selbstversuch ist.“ Als mich dieser Ratschlag ereilt, sitzen wir zu fünft auf der Passauer Hütte, haben 1.200 Höhenmeter in den Oberschenkeln, noch einen zweistündigen Abstieg bei Regen vor uns und unter normalen Umständen würde ich eine kräftigende Tagessuppe (heute: vegetarisch) löffeln oder in ein Schafwürstel vom Bauern unten in Leogang beißen, das in der Karte angepriesen wird. Auch die beiden vegetarischen Speisen klangen verlockend. Aber vegan? Da kam den Hüttenleuten nur ein ”Sorry“ über die Lippen. Also sitze ich vor einer leeren Scheibe Brot und einem Spritzer Estragonsenf. Beides wird mit einem nahrhaften, süffigen Weißbier runtergespült.
Ich glaub ja nicht, dass Karli richtig liegt. Kein Mensch hätte mir geglaubt, dass ich plötzlich auf rein pflanzlich umsattle. Am allerwenigsten meine besten Freunde, die sich gerade an einer Würstelsuppe laben, mit denen ich vor einem Monat auf einer Klettersteigtour noch meinen Proviant geteilt habe, Walserstolz und Waldviertler Hartwurst. So geht der Schmäh an diesem Wochenende halt auf meine Kosten. Denn: ”Das Geile, wenn ma so an Pseudoveganer dabei hat: dass ma ned so tun muss als tät ma’s okay finden“. Danke, Karli. Prost!
Weil fast überall Viech drin ist
Den Abstieg – bei Donnerwetter und strömendem Regen – versüße ich mir mit einem Packerl Manner Schnitten. Ja, die sind vegan! Eine Einsicht kommt mir beim schweigsamen Über-Wurzeln-Stolpern: Ich weiß jetzt, warum Veganer gefühlt immer und überall davon erzählen, dass sie vegan sind! Es geht gar nicht anders! Weil fast überall Viech drin ist. Wer es mit dem Veganismus halbwegs ernst nimmt, dessen Lebensbereiche werden folglich doch ziemlich gewaltig erfasst. Das soziale Umfeld, Freunde, Bekannte, selbst Kollegen, müssten schon unglaublich ignorant sein, das nicht mitzubekommen. Da hat man einfach schnell Erklärungsbedarf, geht vorsorglich in die Offensive und entwickelt praktikable Strategien. Abends, in der Pizzeria hab ich es dann schon aufgegeben, ”vegan“ zu erklären. Beim Bestellen weiß ich ganz genau, was ich serviert bekomme: Pizza ohne Käse, mit Oliven, Zwiebel und ordentlich Knoblauch. Geschmeckt hat das gar nicht so übel.
Stichwort Pizza: Auf meinen Bericht aus Woche eins gab es einiges an Feedback und hilfreiche Tipps. Etwa: „Für Pizza etc. ist beispielsweise der Daiya-Cheese eine wirklich schmelzende Alternative. Allerdings gibt’s den derzeit in Europa noch nicht. Falls ja, importiert um 7 Euro pro Packung. Um den Preis halt eher lächerlich.“ Beim Heurigen am nächsten Tag, ein paar Kilometer vor Wien, sitze ich jedenfalls wieder vor einer Riesenscheibe Brot, belegt mit Paprika, Paradeiser und Essiggurke. Fleisch hätte ich hier ohnehin keines gegessen, aber ein Käsebrot …
Bist du nicht bereit, extra für Gutes zu bezahlen, kriegst du den größtmöglichen Scheiß aufgetischt
Ein Nachteil am Veganismus scheint mir zu sein, dass Veganer der Lebensmittelindustrie erschwert auskommen. Und ich meine damit Industrie-Industrie. Wie man sich für Ernährung interessieren und die eigene Ernährung als bewusst politischen Akt sehen kann (was ich vielen Veganern jetzt einmal unterstelle, denn Tierschutz ist für mich ganz klar politisch), und dabei nicht relativ radikal auf Bio-Lebensmittel setzt, fällt mir schwer zu verstehen. Das Gros des handelsüblichen Tofus, viele Soja-Produkte und dergleichen entstammen jedenfalls konventioneller industrieller Landwirtschaft. Und wenn ich als kritischer Konsument, der sich nicht nur für Landwirtschaft, sondern auch den Lebensmitteleinzelhandel und Wirtschaft an sich interessiert, eines gelernt habe, dann das: Wenn du nicht bereit bist, extra dafür zu bezahlen, dass du etwas Gutes (Bio, Fairtrade etc.) auf den Teller bekommst, dann kriegst du landläufig den billigsten und größtmöglichen Scheiß aufgetischt. Vor allem in der Gastronomie. Ausnahmen mag es geben. Aber das sind eben Ausnahmen und keinesfalls die Regel. Was ich daraus schließe? Nun, Veganer essen zwar wahrscheinlich bewusster als der Durchschnitt, im Schnitt aber wohl oft ebenso großen Müll.
Wer das eher vermeiden will, dem bleibt auch im Veganismus bloß, sich selbst zu helfen: In Wien 15 etwa, wurde mir zugetragen, haben ein paar Gleichgesinnte eine vegane Foodcoop initiiert. Gemeinsam beziehen sie beispielsweise bei einem lokalen Bauern Gemüse. Alles selbst organisiert. Jeden Dienstag holt man sich seinen Ernteanteil. Global betrachtet, geht der Trend aber wohl in die entgegengesetzte Richtung. „Schweine sind am Rohstoffmarkt der Renner“, titelte vor ein paar Tagen das Wall Street Journal. Aber das wäre eine andere Geschichte. Woher das Schweinefleisch stammt, das meine Freunde beim Heurigen gegessen haben? Vom Winzer selbst jedenfalls nicht. In der Karte ist nicht ausgewiesen, woher er es bezieht. Was mich automatisch auf Billigware vom Metro und Fleisch aus der Ukraine oder sonst woher schließen lässt. Sorry, aber im Zweifel ist in der Gastro eben vom Schlimmsten auszugehen.
Insgesamt ist es in Großstädten wohl deutlich leichter, ohne Entbehrungen vegan zu leben; allein schon, was das Aus- und Essengehen betrifft. Aber auch der Einkauf in kleinen Land- und Dorfsupermärkten (Adeg & Co) machen es einem nicht leicht. Spar Veggie mag es in den großen Filialen geben. Aber die kleine Filiale, in der ich mich vor unserer Bergtour versorgungstechnisch ausrüsten wollte, war eine Enttäuschung. Ein trockenes Sonnenblumenkern-Weckerl (Brötchen) erwies sich als vegan – und auch das erst nach telefonischer Nachfrage der Filialleiterin beim Lieferanten. Sonst auf der Rechnung hatte ich Haselnüsse, Obst, Müsliriegel und eben das Packerl Mannerschnitten. Abseits der großen Ballungsräume ist man als Veganer wohl auf die abseits der Zentren in Businessparks gelegenen Eurospar– und Merkur-Filialen angewiesen. Wien, vor allem die innerstädtischen Bezirke, haben sich vergleichsweise als Eldorado erwiesen – auch, was die Gastronomie betrifft.
Im Schnelldurchlauf ein paar Lokale, die mir in Woche eins bis drei bemerkenswert erscheinen; Nicht-Wiener überspringen den folgenden Absatz jetzt am besten:
Mitten in Wien-Wieden gelegen bietet das Lokal Frühstück bei mir wochentags – leicht irreführenderweise zu Mittag – vegetarische Bio-Menüs zu sehr gutem Preis-Leistungsverhältnis. Zumindest eines davon ist immer vegan, auch Bio-Sojamilch gibt es für Kaffeetrinker. Leitungswasser geht auf’s Haus, hier kann mal also echt günstig bio und vegetarisch/vegan essen. Noch recht neu ist das Harvest am Karmeliterplatz 1. Betrieben wird es von Marcus Westenberger, der sich schon in seiner Zeit im OST Klub für vegetarisches Catering und Gastro engagiert hat. Nicht alles ist vegan, aber die Sandwiches z.B. – wow! Insgesamt überschaubar ist das Mittagsangebot im direkt gegenüber dem Elektrotechnikgebäude der TU Wien gelegenen Salon Wichtig. Zumindest ein Curry ist immer auch vegan zu haben. Wenig falsch machen kann, wer am Naschmarkt Falafel bestellt – sofern Joghurtsauce und Feta vorsorglich ausgeschlossen werden. Was mir insgesamt ein Rätsel bleiben wird ist der Reiz von Vleisch, also veganem Fleischersatz. Im Bok, einer Sushi-Bar, die auch „Vegie Food“ führt, habe ich mich auf falsches Rindfleisch in schwarzer Pfeffersauce und veganen Pseudofisch eingelassen. Beides nicht schlecht, aber, tut mir leid: Mit Rindfleisch oder Fisch hat das echt nichts zu tun. Wer das behauptet, ist geschmacklich verwirrt oder einfach schon so lang vegan oder vegetarisch unterwegs, dass er sich an gutes Fleisch und frischen Fisch schlicht nicht mehr erinnern kann.
Auch praktisch: Die unweit der Redaktion gelegene Kaffeefabrik – hier gibt es den besten Kaffee der Stadt! – kühlt mir mittlerweile meine selbst mitgebrachte Reis- oder Sojamilch ein. Überraschend: Sowohl die Sojamilch von Alnatura, Ja! natürlich als auch die von Joya lassen sich vom geübten Barista perfekt in Milchschaum verwandeln.
Ich bleibe sicher kein Veganer
Was ich nach drei Wochen veganer Ernährung weiß: Ich bleibe sicher kein Veganer. Ja, ich freue mich auf Käse, ein Ei zum Frühstück, feines Rindfleisch mit Zwiebel, Essig und Kernöl und – die perfekte Erfrischung im Sommer – mit Mineralwasser aufgespritzte Buttermilch. Ja, wir sollten alle weniger Fleisch essen, weniger tierische Produkte, Fleisch ist insgesamt viel zu billig, aber ja, jeder soll nach seiner Facon leben. Insgesamt allerdings bleibt mir strikter Veganismus suspekt und irgendwie weltfremd.
„Braucht es in Zukunft überhaupt noch Nutztiere in der Landwirtschaft? Der Vegetarismus oder Veganismus wäre doch eine ethisch korrekte Ernährung?“ – Das wird der Schweizer Urs Niggli, der Godfather des europäischen Bio-Landbaus, in der aktuellen Ausgabe der „Bio-Fibel“ gefragt. Seine Antwort scheint mir grundvernünftig: ”Unsinn! So sehr ich den persönlichen Entscheid, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, achte und bewundere, so sehr lehne ich das als Weg für die Gesellschaft ab. Weltweit sind zwei Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche Dauergrünland. Diese können nur durch die Wiederkäuer Rind, Büffel, Schaf und Ziege für die menschliche Ernährung genutzt werden. Widersinnig ist es erst, wenn man Wiederkäuer mit Getreide füttert. Auch Schweine und Hühner haben in reduziertem Umfang eine Berechtigung, nämlich in der Reste- und Abfallverwertung.“ Dem ist meiner Ansicht nach nichts hinzuzufügen.
Ach ja, apropos Reste: Eine Frage, die mir Karli oben auf der Passauer Hütte gestellt hat – „Kackst du noch Würstel oder scheißt du schon Fladen?“ – werde ich auch hier nicht beantworten. Probier’s doch einfach selbst aus, Alter!
Zumindest zwei, drei Wochen Veganerdasein würde ich ohnehin jedem empfehlen.
Going vegan, ein Monat, ein Selbstversuch. Was bisher geschah: Woche eins
www.biorama.at/selbstversuch-vegan-ernaehren