Der Tod muss überraschen
Damit wir Fleisch essen können, werden in Europas Schlachthöfen jährlich Millionen von Nutztieren getötet. Dabei passieren Fehler, die vielfach unnötiges Leid verursachen. Es gibt Wege aus dem Dilemma – die kosten aber.
Dieser Text beginnt mit einer einfachen Wahrheit: Auch ein Bio-Schnitzel war irgendwann mal Teil eines Schweins. Der Vorgang der Tötung ist ein elementarer Teil unseres Fleischkonsums. Und weil wir viel Fleisch essen, töten wir auch viel. Allein in Österreich beispielsweise 5,6 Millionen Schweine pro Jahr.
Dürfen wir das eigentlich? »Da sind sich die Tierethiker nicht einig«, erklärt Herwig Grimm, Professor am Messerli-Forschungsinstitut, einer gemeinsamen Einrichtung der Veterinärmedizinischen, der Medizinischen und der Universität Wien. Mancher Kollege lehne die Schlachtung generell ab. Für andere, wie Peter Singer, einen der prominentesten Vertreter der Tierethik, ist die Tötung theoretisch nicht verwerflich. Ein Tier habe keine Zukunftspläne, die wir ihm rauben könnten. Trotzdem tritt der australische Philosoph in der Praxis gegen Fleischkonsum und die damit verbundenen Schlachtungen ein, weil der Mensch nicht in der Lage sei, ein leidfreies System zu entwickeln. Die Statistik gibt Singer Recht. Herwig Grimm nicht. » “Ich denke, dass es das definitive Ziel sein muss, die Tötung von Tieren leidfrei zu gestalten und bin der Meinung, dass dies auch grundsätzlich möglich ist. Unter den gegenwärtigen Bedingungen und der aktuellen Größenordung des Fleischkonsums scheint dieses Ziel allerdings noch ein Fernziel zu sein.” Einig sind sich die Ethiker aber, dass der Mensch die Verantwortung hat, den heiklen Moment der Tötung möglichst frei von Stress und Leid zu gestalten.
Und daran hakt es gewaltig. In den riesigen Schlachthöfen wird im Akkord gearbeitet, die Mitarbeiter sind schlecht bezahlt und stehen unter einem enormen Druck. Die Zeit, die für die Betäubung und Tötung gewährt wird, ist zu kurz. Und oft steht der am wenigsten wertgeschätzte und entlohnte Arbeiter am Anfang der Produktionskette. Dabei sind die Betäubung und der Tötungsstich die entscheidenden Phasen de Schlachtung.
Das produziert systemische Fehler. Die deutsche Bundesregierung stellte im Juni fest, dass auf deutschen Schlachthöfen die sogenannte »Fehlbetäubungsrate« bis zu 12 Prozent betrage. Diese Zahl wird noch erschreckender, wenn man sich die Größenordnungen klarmacht: 12 Prozent der 60 Millionen in Deutschland jährlich geschlachteten Schweine sind knapp 7 Millionen Tiere. 7 Millionen empfindsame soziale Lebewesen, die jedes Jahr nicht vollständig betäubt in den Verarbeitungsprozess gelangen.
Wege aus dem Dilemma
Das zentrale Element einer leidfreien Schlachtung ist der Stress. »Die Tiere müssen von ihrem Tod überrascht werden«, drückt es Grimm aus. Es gibt Projekte, bei denen die Tiere einen Tag vor der Tötung mehrfach durch den Schlachthof geführt werden, damit sie das Gelände bereits kennen. Auch die systemischen Probleme können bereits durch Kleinigkeiten verbessert werden. In einigen dänischen Schlachthöfen rotieren die Arbeiter, um nur kurze Zeitspannen an bestimmten Positionen zu werken. Das beugt Unkonzentriertheit und damit Fehlern vor. Manche Pioniere gehen allerdings noch weiter, weg von den riesigen Schlachthöfen. Zum Beispiel ein Rinderbauer in Augsburg, der sich über Jahre vor Gericht das Recht erstritten hat, seine Rinder direkt auf der Weide erschießen zu dürfen. Davon kann Herbert Schwaiger nur träumen. Der Pensionist aus Niederösterreich hatte in den späten 80er Jahren eine Idee: Wenn Tiere nur unter extremem Stress und Leid zum Schlachthof gebracht werden können, warum kommt dann nicht der Schlachthof zu ihnen? Schwaiger ließ sich seine Idee im Jahr 1992 patentieren und konstruierte einen Prototyp. Sein mobiles Schlachtsystem, das in einem LKW untergebracht ist, übernimmt den gesamten Prozess. Mit dem EU-Beitritt 1995 kam aber das Aus für Schwaigers Idee. Sie verstieß gegen Hygieneverordnungen. Seitdem adaptiert der rüstige Landwirt seine Erfindung und kämpft einen Kampf gegen reale und imaginäre Gegner von Umweltministerium bis Raiffeisen. Ob seine Erfindung einmal über den Status eines Prototyps hinaus im Einsatz sein wird, ist fraglich.
Ein Stück weiter ist Norbert Hackl, der Betreiber des steirischen Biohofs Labonca, berühmt für seine »Sonnenschweine«. Im Mai 2013 ist der Spatenstich für sein Weide-Schlachthaus. Der Kniff: Weideschlachtung ist zwar verboten, nicht aber ein Schlachthaus mit Weiden drumherum, auf denen die Tiere ein paar Tage zur Gewöhnung verbringen, bevor es zur Schlachtbank geht. Das Ganze ist solide kalkuliert und passiert auch nicht aus reiner Tierliebe. Denn setzt bei einem Tier vor der Schlachtung der Fluchtreflex ein, verbrennt es die Zuckerreserven im Fleisch, was sich negativ auf dessen Qualität auswirkt. Das lässt sich nur verhindern, wenn die Betäubung in einem angstfreien Moment geschieht.
Egal mit wem man redet, eines wird schnell klar: Das alles kostet Geld. In Hackls Schlachthaus wird nie im Akkord gearbeitet werden können. Und dort, wo es passiert, müssen Intervalle verlängert und die Schlachter besser bezahlt werden. Dem zuvor steht die Erkenntnis, dass die Schlachtung ein moralisch relevantes Datum ist. Für das Tier und für uns Menschen.
alle Bilder aus „Schlachten“ von Sigmund Steiner
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