Radeln im 3/4-Takt
Wien wird nächstes Jahr »Welthauptstadt des Radfahrens«, Wien wird Velo-city 2013. Unter dem Motto »The Sound of Cycling – Urban Cycling Cultures« stellt sich die Donaumetropole dann aufs Podest, um diesen Titel – scheinbar bereits verdient – in Empfang zu nehmen. Wir schauen zwischen Startfeld und Zielgeraden genauer hin.
Das lustig geschwinde Wortspiel Velo-city (dt: Geschwindigkeit) steht namentlich für den weltgrößten Kongress zum Thema Fahrradverkehr. Velo-city wurde schon das erste internationale Treffen führender Fahrradspezialisten 1980 in Bremen genannt, welches auch 1983 einen essenziellen Grundstein zur Bildung der European Cyclists’ Federation (ECF) – dem Europäischen Radfahrer-Verband – legte, die seit ihrer Gründung zusammen mit den jeweiligen Austragungsorten der Velo-city auch den Veranstalter und Organisator stellt.
Im Grunde genommen gibt es zwei verschiedene Kongresse, welche auf denselben Namen hörend, alternierend biannual stattfinden: die Velo-city in allen Jahren mit ungeraden und die Velo-city in allen Jahren mit geraden Jahreszahlen. Zweitere darf sich mit dem Zusatz »global« schmücken. Hierfür können sich Städte aus aller Welt bewerben. Internationale Spezialisten analysieren und diskutieren den Radverkehr und seine weltweite Entwicklung. Man tauscht sich aus. Grenzenlos. Im Gegensatz dazu konzentriert sich die Velo-city der ungeraden Jahre sowohl in der Themenauswahl als auch in der Gewichtung der aktiven Teilnehmer auf die Region oder in den meisten Fällen den Ort der Austragung. Und schon bei der Auswahl der Stadt ausschließlich auf Europa.
Velo what?
Eine Velo-city ist sowohl die Veranstaltung selbst, als auch die Stadt, in der sie stattfindet. Zumeist führt diese dann auch den dramatischen Zusatztitel »Welthauptstadt des Radfahrens«. Scheinbar schmucke Federn für ein Vier-Tages-Programm? Doch es gehört weitaus mehr zu einer waschechten Velo-city als nur ein paar Tage Kongress. Der Titel will verdient sein. So soll es den Aficionado nicht weiter verwundern, dass Bremen und London (1984) bereits Metropolen des Fahrrad-Mikrokosmos waren, genauso wie Groningen (1987), die Stadt mit dem derzeit höchsten Radverkehrsanteil* Europas – sagenhaften 38 Prozent – und Kopenhagen (1989), die sprichwörtliche Radhauptstadt mit einem vorbildlich ausgebauten Radwegenetz, Mailand (1991) als traditionsreicher Produktionsort der berühmtesten Fahrradschmieden und Montreal (1992) als eine der Vorreiterstädte am amerikanischen Kontinent. Inhaltlich wird sich die Konferenz in Wien mit folgenden Themen befassen: Fahrradkulturen, Radfahren als integraler Bestandteil nachhaltiger, zukunftsfähiger Städte, das Fahrrad als sozial gerechtes Verkehrsmittel sowie der Austausch in der Europa-Region Mitte (Centrope). Dazu werden Lectures, Workshops und Round Tables abgehalten sowie eine Expo gezeigt. Auch für interessierte Besucher wird es Möglichkeiten geben, am Rahmenprogramm teilzunehmen.
Ist Wien eine Velo City?
Verglichen mit den ultimativen Radhauptstädten Kopenhagen, Amsterdam oder Portland, deren wetterunempfindlichen Radfahrern als Imageträger, ganzheitlich geplanten und gut ausgeführten Radwegenetzen, unglaublichen Radverkehrsanteilen und gewaltigen Ausgaben für Unterstützung und Ausbau der Radwege, muss Wien wohl eher als Entwicklungsland denn als Welthauptstadt des Radfahrens gesehen werden.
Doch Kopfschütteln sollte die Wahl eines der Schlusslichter im europäischen Vergleich – mit traurigen 5 bis 6 Prozent Radverkehrsanteil – trotzdem nicht auslösen.
Schließlich musste sich Wien für Auszeichnungen wie »Stadt mit der höchsten Lebensqualität« (Mercer, 2011) oder »Smartest City« (Boyd Cohen, 2012) gegen einen ähnlichen Städte-Katalog wie den zur Bewerbung zur nächsten Velo-City behaupten. Auch die zentrale Lage in Europa, die Tatsache, dass Wien mit Bratislava nur 60 Kilometer von der nächsten europäischen Hauptstadt entfernt liegt und die Rolle als Drehscheibe und Bindeglied nach Ost-, Süd- und Westosteuropa dürfte bei der Bevorzugung Wiens gegenüber den Mitbewerbern wie der französischen Stadt Nantes ausschlaggebend gewesen sein. Und nicht zuletzt mit seinen bisweilen gut vermarkteten Attributen – der Musik und Kunst – kann Wien Teilnehmer gleichwohl wie Besucher haschen. Darauf zielt demnach auch das gewählte Unterthema „The Sound of Cycling, Urban Cycling Cultures“ ab. Wien hat Potenzial. Und mit dem Rekordjahr 2011 immerhin 20 Prozent Fahrradzuwachs gegenüber dem Vorjahr auf seinen Straßen zu verzeichnen.
Wien wird im kommenden Jahr Austragungsort und Brennpunkt des weltgrößten Treffens von Experten zum Thema Fahrradverkehr und steht dementsprechend schon jetzt massiv unter Handlungszwang. Frei nach dem Gedanken: Bevor Besuch kommt, wird geputzt. Blöße will man sich keine geben und die Stadt hat vorsorglich das gesamte Jahr 2013 zum »Rad-Jahr« ausgerufen. Auch der Impact soll ein großer sein, auf den es zu vertrauen gilt. So erscheint das Ziel der Stadtregierung, den Radverkehranteil bis 2015 auf zehn Prozent zu erhöhen, durchaus realistisch.
*Anteil der Alltagswege, die mit dem Fahrrad zurückgelegt werden
VELO-CITY 2013
BIORAMA wird im Vorfeld der Velo-city, die von 11. bis 14. Juni 2013 Radexperten und Radbegeisterte aus aller Welt in Wien versammeln wird, das Konzept »Rad-Stadt« auf den Prüfstand stellen. In den kommenden Ausgaben werden wir Entwicklungen auf dem Sektor Radverkehr und verschiedenste Aspekte der Fahrradkultur vorstellen und mit Experten und Aktivisten diskutieren.
Velo-city 2013 – Call for Contributions:
Aufbauend auf den Konferenz-Hauptthemen »Fahrradkulturen«, »Fahrradfreundliche Städte« und »Radfahren nützt uns allen« beginnt die Einreichfrist für Ideen, Vorträge und Projekte am 7. September und endet am 22. Oktober 2012. Infos zu den Einreichformalitäten: program@velo-city2013.com
Velo-City 2013
European Cyclists’ Federation