3 Wochen allein eingeschneit: Ein Hüttenwirt erzählt

Schneemassen-Hüttenwirt-Selfie: Gerold Hubmer hielt drei Wochen allein im Karl Ludwig Haus durch.

Ganze drei Wochen lang war Gerold Hubmer, Hüttenwirt am Karl-Ludwig-Haus, auf der Rax eingeschneit. Im Interview erzählt er von erholsamer Einsamkeit, seinem Fitnessprogramm und der unerwarteten Lust, für sich alleine zu kochen.

BIORAMA: Drei Wochen allein eingeschneit auf einer Hütte. Da gibt es bestimmt Momente der Angst.
Gerold Hubmer:
Naja, ich bin ganz froh, dass das nicht meine erste Erfahrung dieser Art gewesen ist. Im letzten Winter, der ähnlich vom Schneefall war – ich glaube, es war 2006/2007 – war ich auf meiner damaligen Hütte, dem Vorderötscher auch einige Wochen eingeschneit. Dort allerdings ohne die Gefahr von Lawinen.

Was ging dir als erstes durch den Kopf als du realisiert hast, dass du da jetzt länger allein sein würdest?
Gerold Hubmer: Nach unserem Silvesterfest war es klar, dass ich noch mindestens zwei Tage oben brauchen würde, um die Hütte winterfest zu machen. Dazu gehört Wasser aus allen Leitungen entleeren (was bei uns mindestens eine halben Arbeitstag in Anspruch nimmt), alle Abflüsse mit Frostschutzmittel gegen Auffrieren sichern, den Abwasserkanal durchspülen und mit Druckluft durchblasen, Betten abziehen, alle Matratzen aufstellen, Nahrungsmittel ver- bzw. entsorgen … Da waren die Wetterprognosen schon recht eindeutig, aber diese Arbeiten sind einfach zu wichtig. Da solltest du nicht schludern, sonst rächt sich das bitter im Frühling! Spätestens am 3. Jänner war mir klar, dass ich nicht mehr runterkomm ohne mich der Gefahr auszusetzen, mit einer Lawine abzufahren. Mein erster Gedanke war: Shit, ich sitz fest! Mein zweiter Gedanke war: Yeah, ich sitz fest und kann mal ein paar Tage für mich allein sein …

Saukalt wird es wenn der Wind bei über 100 km/h um die Hütte weht.


Im tiefsten Winter sind die Vorräte wahrscheinlich überschaubar. Für wie lange hätte es da oben gereicht?
Gerold Hubmer: Mit den Nahrungsmittel wär ich locker nochmal so lange ausgekommen. Problematisch wär es mit dem Brennmaterial geworden. Obwohl das Haus seit der Renovierung vor fast 10 Jahren wirklich gut isoliert ist, bläst es dir die Wärme einfach so raus bei 120 km/h Schneesturm … und den hatte ich da oben fast täglich. Der größte Trumpf war und ist allerdings mein Weinkeller, in dem jede Menge tolle Bioweine lagern. Das gibt Gelassenheit!

Ab dem wievielten Tag allein stellt sich denn sowas wie Routine ein?
Gerold Hubmer: Sobald du realisiert hast, dass das jetzt eine längere Geschichte wird, planst du deinen Tag ganz normal. Bei mir war das etwa ab Tag 3.

Bis aufs Internet von der Außenwelt abgeschnitten: eine merkwürdige Situation
(Foto: Gerold Hubmer)


Was ist denn dran am Klischee, dass man sich auf sich allein gestellt, auch gehen lässt?
Gerold Hubmer: Sicherlich verleitet einen die Situation zu Müßiggang. Für ein paar Tage wär das auch okay. Ich hab aber nicht gewusst, wie lange ich da oben „gefangen“ sein werde. In solchen Situationen ist es ganz wichtig, eine täglich Routine zu entwickeln und auch einzuhalten. Ich hab meinen Tag strukturiert. Gut – ich hab länger geschlafen als sonst … das war allerdings auch der Tatsache geschuldet, dass es nicht hell geworden ist in der Früh. Erstens waren die Nächte eher nicht erholsam (wenn durch den Sturm die Balken ächzen und sogar das Bett zu wackeln beginnt, ist der Schlaf halt nicht so tief…) und zweitens waren die Fenster immer mit Schnee komplett dicht. Erste Morgentat also: bei Schneesturm Fenster von Schnee und Eis befreien, da bist munter!
Dann gab’s Sport. Ich hab von einem ehemaligen Mitarbeiter ein Laufband „geeerbt“, da war ich jeden Tag drauf. Der restliche Tag ging dann mit Computerarbeit drauf. Auch nicht unterschätzen sollte man die Notwendigkeit, das Feuer in den Öfen am Leben zu halten, sonst wird’s ganz schnell huschi.

Wie geht man in solch einer Extremsituation mit Einsamkeit um?
Gerold Hubmer: Ich bin es gewohnt für mich allein zu sein. Die meisten meiner Wanderungen und Bergtouren mach ich für mich alleine ohne Begleitung. Für mich ist das ein guter Ausgleich zu den vielen Wochen, wo ich durch den Hüttenbetrieb täglich viele Menschen um  ich habe.

Fühlt man sich auch wie ein gestrandeter Robinson Crusoe? Oder verhindert das allein schon die Erreichbarkeit über Handy und Internet?
Gerold Hubmer: Besonders das Internet war schon sehr hilfreich, das muss ich zugeben. So hast du zumindest das Gefühl, noch Teil der Welt da draußen zu sein…

Lebenszeichen des Eingeschneiten via Facebook.


Nachrichten übers Internet sind das eine. Was hast du denn auf der Hütte über dein unmittelbares Umfeld mitbekommen?
Gerold Hubmer:
An den allermeisten Tagen hatte ich mit äußerst unfreundlichen Bedingungen zu kämpfen. Wenn der Strum mit weit über 100 km/h bläst, kannst du nicht einmal sagen, ob es gerade schneit, oder der Schnee nur aufgewirbelt wird. Da gehst du nur kurz nach draußen. Erfrierungen an den Fingerspitzen hab ich mir schon nach 10 Minuten zugezogen gehabt. Gottseidank nichts bleibendes. Aja, und wenn die Böen so richtig gut drauf sind (und das waren sie) dann haut’s auch mich als erfahrenen Berggeher mit über 80 Kilo ohne Rucksack schon mal ziemlich unelegant auf die Schnauze.
Ich kann mich an einen Tag erinnern, wo sich plötzlich die Sonne durchkämpfen konnte. Da hab ich mich schnell angezogen und bin raus. An einen Abstieg war zwar wegen der Lawinengefahr nicht zu denken, aber ich kenn meine Wege und so konnte ich rund um die Hütte ein paar wirklich beeindruckende Stimmungen erleben. Ein seltsames Gefühl: mitten im Leben, bestes Wetter und trotzdem keine Chance runter zu kommen.

Launige Postings aus der Eremitage. (Screenshot: Facebook)


Du hattest dich auf Facebook immer wieder über „Darwin-Award-verdächtige“ Anfragen beklagt – von Leuten, die trotz Lawinenwarnung Touren gehen und sich bei dir auf der Hütte einquartieren wollten.
Gerold Hubmer: 
Ich find’s halt schlimm, wie weit wir Menschen die Beziehung zu unserer Umwelt verloren haben. Das kannst du immer öfter beobachten. Die Natur mutiert zum Sportgerät, alpines Know-How wird gegoogelt, der Respekt vor den Bergen ist verlorengegangen. Genau wie der Respekt vor den Menschen, die solche Idioten dann unter Einsatz ihres Lebens wieder vom Berg holen. Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Alles was ich jetzt gerade will, das kann ich mir holen. Am Berg geht diese Rechnung nicht immer auf. Die Natur ist einfach stärker und wenn wir sie nicht respektieren, werden wir das bezahlen – in jeder Hinsicht.

Hast du auch mal selbst überlegt, dich evakuieren zu lassen?
Gerold Hubmer:
In der Tat habe ich in Woche 3 mal bei der Alpinpolizei nachgefragt, ob sie denn mal planmäßig einen Flug in unserer Gegend hätten, soabld es das Wetter zuließe. Dem war nicht so. Und als Notfall habe ich mich nicht gefühlt.

Wie hast du die Entscheidung getroffen, dass es jetzt sicher für einen Abstieg ins Tal wäre?
Gerold Hubmer:
Ich habe täglich den LLB – den Lawinenlagebericht – studiert, habe mir im obersten Hangstück vor der Hütte ein Schnneprofil gegraben und sobald es das Wetter zugelassen hat, mir die Schneeverfrachtungen sehr genau angeschaut. Durch den extremen Sturm waren manche Bereiche fast schneefrei. So hab ich dann meine Abstiegsroute gewählt. Am Predigtstuhl habe ich Wechten in LKW-Größe gesehen, jederzeit abgangsbereit. Beim Abstieg über den Waxriegelkamm konnte ich dann aus der Ferne Personen beobachten, die direkt unter der Gefahrenstelle herumgelaufen sind. Dann hab ich mir gedacht, so, jetzt bin ich echt reif für den Urlaub.

Wirst du nun für den nächsten Winter besondere Vorkehrungen treffen?
Gerold Hubmer:
Auf jeden Fall werde ich im Jänner keine Termine planen ;-).

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