Wie viele Menschen kann die Erde ernähren und wie? Die Grenzen der Kapazitäten unseren Planeten sind, wenn auch nicht berechenbar, doch absehbar. Wenn die Moral auf sich warten lässt, wird das Fressen knapp und die Lektion auf die harte Tour gelernt. So wird Moral eine Frage der Vernunft.

Foto: "Combine Harvester", Martin Pettitt, flickr

Foto: „Combine Harvester“, Martin Pettitt, flickr.

10 Milliarden Menschen. 10 000 000 000. Eine schöne, runde Horrorvorstellung wird beschworen, seit die DESA, die “Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten” der UNO, für das Jahr 2050 9,6 Milliarden Erdbewohner prognostiziert hat. Seither interessiert auch kaum jemanden mehr, dass dieselbe Organisation die Trendwende, einen Rückgang der Weltbevölkerung, noch in diesem Jahrhundert für die wahrscheinlichste Weiterentwicklung hält.

“Wenn wir daran denken, dass im Jahr 2050 9,6 Milliarden Menschen auf der Erde leben, kommt uns sofort in den Sinn: Wie können wir dementsprechend mehr Nahrungsmittel produzieren, wo die Landwirtschaft doch jetzt schon an die globalen Umweltgrenzen stößt?”,

DI Liesbeth de Schutter, Institute for ecological economics, Wirtschaftsuniversität Wien.

Mit Horrorszenarien von nicht in den Griff zu bekommenden Hungerrevolten wird an die begrenzten Möglichkeiten kleinräumiger oder biologischer Landwirtschaft erinnert, der Einsatz genetisch veränderten Saatguts und industrieller Massenproduktion wirkt alternativlos.

Angeblich soll es, um den Ressourcenverbauch der Menschen greifbar zu machen, auch helfen, sich den Nahrungsverbrauch von zehn Milliarden Elefanten vorzustellen. Wenn das auch nicht hilft, hilft nur mehr Resignation. Am besten ein XXL-Schnitzel dazu, und die Hoffnung, das Jahr 2050 erst gar nicht erleben zu müssen.

Die Grundlagen des Fortschritts

Die Antwort auf Nahrungsknappheit war in der Menschheitsgeschichte meist Extensivierung, also Ausdehnung der landwirtschaftlichen Anbauflächen. Die Einführung des Kunstdüngers ermöglichte einen Sprung in der Intensivierung: Produktionssteigerung ohne Ausdehnung der bewirtschafteten Flächen. Der Trend der Extensivierung setzte sich gleichzeitig weltweit fort.

Die sich global ausbreitende Form industrieller Landwirtschaft beruht auf Kunstdünger und chemisch-synthetsichen Pflanzenschutzmitteln und brachte beachtliche Ertragssteigerungen.

Doch sie laugt Böden aus und belastet Luft und Umwelt stärker, als es die gleichzeitig schrumpfenden regenerativen Biosphären unseres Planeten (etwa die Wälder) kompensieren können. Böden, Meere und Trinkwasser werden unbrauchbar für die Gewinnung von Nahrungsmitteln. Der durch diese Emissionen mitverursachte Klimawandel trägt zusätzlich zur Verknappung landwirtschaftlich nutzbarer Fläche bei.

Lebensmittelkonsum und C02-Emission

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*Orange= tierisches Produkt, blau = pflanzliches Produkt mit nur einer Zutat, grün = weiterverarbeitetes pflanzliches Produkt oder Mischprodukt

*Orange= tierisches Produkt, blau = pflanzliches Produkt mit nur einer Zutat, grün = weiterverarbeitetes pflanzliches Produkt oder Mischprodukt Grafik: Wirtschaftsuniversität Wien, basierend auf Daten aus Lifecycle-Asessment-Studien aus den Jahren 2007 bis 2014

Grafiken: BIORAMA nach Aufbereitungen der Wirtschaftsuniversität Wien, basierend auf Daten aus Lifecycle-Asessment-Studien aus den Jahren 2007 bis 2014

Wie soll sich das ausgehen?

Zurück zu den 9,6 Millarden: Ein Zugang, der nicht einfach den Status-quo des Nahrungsmittelverbrauchs auf den weiterer drei Milliarden Menschen hochrechnet, sondern die Bedürfnisse der künftigen Weltbevölkerung ins Zentrum rückt, beginnt mit der Frage: Was werden diese knapp zehn Milliarden brauchen?

Die Ernährungsorganisation der UNO (FAO) geht von einem (umstritten niedrigen) durchnittlichen täglichen Minimalbedarf von 1800 Kilokalorien und einer Empfehlung von 2100 Kilokalorien aus. Aktuell werden auf der Welt jährlich 5,6 Billiarden Kilokalorien an Nahrungsmitteln für den menschlichen Verzehr produziert. Das ergibt bei der derzeitigen Weltbevölkerung rund 2200 Kilokalorien pro Kopf/pro Tag. Das vermeintlich Unmögliche scheint greifbar.

Doch schon jetzt hungern – abhängig von der Berechnungsart – zwischen 800 Millionen und 1,2 Milliarden Menschen. Interessant sind also auch mit Blick in die Zukunft ein Mal mehr jene Gründe, aus denen heute schon viele Menschen hungern. Die Ernährung der Weltbevölkerung hängt nicht nur von der Menge der global produzierten Lebensmittel ab, sondern auch von ihrer Verfügbarkeit. Hunger bekämpfen heißt in erster Linie Armut bekämpfen.

Mit Essen spielt man nicht und Essen schmeißt man nicht weg!

Das wissen die Großmütter aus Zeiten, in denen auch hierzulande Nahrung knapp war. Die Entwicklung eines globalen Handelssystems auch für Grundnahrungsmittel hat die Knappheit, die nun eine weltweite ist, für uns kaum mehr spürbar gemacht. Der Blick auf die Gültigkeit altbekannter Alltagsweisheiten ist verstellt.

Landgrabbing und Spekulationsgeschäfte mit Nahrungsmitteln sind nur die offensichtlicheren vieler Phänomene, die Preise von Nahrungsmitteln und den Zugang zu Ackerland beeinflussen – nach Spielregeln, die nicht mit dem Ziel der Ernährungsicherheit entworfen wurden.

Ein Drittel der weltweit produzierten Nahrung wird nicht verzehrt, sondern landet im Müll. Durch dessen Produktion, Verarbeitung und Transport werden außerdem 3,3 Milliarden Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre ausgestoßen. Großer Spielraum zur Abfallreduktion besteht in den Entwicklungsländern etwa in der Lagerung, in den Industrieländern vor allem beim Konsum. Dessen Anteil am gesamten Lebensmittelabfalls variiert von 4–16% in den Weltregionen mit niedrigen Durchschnittseinkommen bis hin zu 31–39% in den Ländern mit hohem Einkommensniveau.

Der fleischgewordene Überfluss

Nur gut die Hälfte der Kalorien, die die weltweiten Ernten liefern, dienen der menschlichen Ernährung (55%). Der Rest wird zu Tierfutter (36%) oder zu Bioenergie verarbeitet. Von den Kalorien, die zur Ernährung unserer Nutztiere eingesetzt werden, gehen wiederum 89% auf dem Weg zur Produktion von Fleisch, Milch oder Eiern für die menschliche Ernährung verloren.

Anders ausgedrückt: Wenn wir die weltweiten Ernten direkt dem menschlichen Konsum zuführen würden, stünden 70% mehr Kalorien zur Ernährung der Weltbevölkerung zur Verfügung. Da gerade proteinreiche Nahrung zu Tierfutter und fettreiche Nahrung zu Bioenergie verarbeitet wird, würde dadurch auch der Protein- und Fettgehalt der weltweit verfügbaren Nahrung verdoppelt.

Eine Reduktion des Fleischkonsums in den Industrienationen würde sich also nicht nur positiv auf die dortige Gesundheit auswirken und den Verzicht auf Massentierhaltung erleichtern: Wenn Konsumenten und Politik an der Schraube Fleischkonsum drehen, drehen sie an einer der zentralen Schrauben auf dem Weg zur nachhaltigeren Ernährung.

70 % des weltweiten Ackerlandes wird zur Haltung von Nutztieren und deren Ernährung bewirtschaftet. 

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Grafik: BIORAMA, Daten: Berechnungen der Wirtschaftsuniversität Wien (2014), basierend auf existierenden Umwelt-Datensätzen und Impact Maps.

Wie nachhaltig für zehn Milliarden produzieren?

Es mehren sich die Stimmen für eine Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur ressourcenschonenden Intensivierung landwirtschaftlicher Erträge und gegen eine Ausbreitung der gewohnten Form industrieller Landwirtschaft. Eine dieser Stimmen ist Valentin Thurn. In seiner derzeit in den Kinos anlaufenden Dokumentation „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“ spürt er Ansätzen zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion und lässt unterschiedlichste Interessen zu Wort kommen (hier der Link zum Filmreview). Viele sehen in der Rückkehr zu regionalen Versorgungsstrukturen die einzige nachhaltige Möglichkeit, die Weltbevölkerung zu ernähren.

Übermäßiger Fleischkonsum, Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden und Antibiotika, Verschwendung und ungleiche Verteilung von Nahrungsmitteln bestimmen unser Produktions und Konsumverhalten. Wenn wir daran nichts ändern und gleichzeitig der Übernahme dieses Verhaltens in anderen Weltteile Vorschub leisten (etwa durch den Export subventionierter Landwirtschaftsgüter), werden vollkommen andere Umwelt- und Landwirtschaftsbedingungen uns in wenigen Jahrzehnten zwingen, viel tiefgreifendere Veränderungen in Kauf zu nehmen. Eine eher kleinräumige Landwirtschaft, die die Nährstoffe auf dem von ihr bewirtschafteten Boden im Kreislauf erhält, kombiniert mit regionalem Konsum hat bestechende Vorteile: Sowohl Nahrung als auch Umwelt werden weniger durch Schadstoffe belastet, und Nahrungsmittel sind lokal verfügbar.

„Historisch betrachtet hat zuerst die Produktion expandiert, dann gab es – zumindest in Europa – einen sozialen Fortschritt in der Landwirtschaft, in der auch die Lebensbedingungen der Landwirte und die gute Versorg

ung der breiten Bevölkerungen unterstützt wurden. Doch nun sind wir in einem Zeitalter angekommen, in der die Produktion sich zusätzlich ökologischen Grenzen fügen muss. Das ist die Herausforderung unserer Zeit.“,

DI Liesbeth de Schutter Institute for ecological economics, LdSchutter_pic_WUWirtschaftsuniversität Wien.

BIORAMA #37

Dieser Artikel ist im BIORAMA #37 erschienen

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