Ökozid
Polly Higgins – laut The Ecologist einer der zehn visionärsten Köpfe der Welt – kämpft für die Anerkennung ökologischer Massenzerstörung als fünftes Verbrechen gegen den Frieden.
BIORAMA: Wie kam es zu deinem Engagement als Umweltanwältin bzw. in weiterer Folge zum Ökozid-Gesetz?
Polly Higgins: Ich vertrat einen Mann, der am Arbeitsplatz schwer verletzt wurde und während wir auf die Jury warteten, wurde mir klar, dass die Erde für die Verletzungen, die wir ihr zufügen, keine Anwältin hat. Für mich hat sie – genauso wie die Menschen – das Recht auf Leben und wir die Verpflichtung, dieses zu schützen. Ich kam an den Punkt, wo ich mich fragte, wie es sein kann, dass es absolut normal ist, mit massiver Umweltzerstörung Profit zu machen. Ich fand heraus, dass das Gesetz das Problem kreiert, indem Unternehmen von der Maxime »put profit first« geleitet werden und die Interessen der Shareholder an erster Stelle stehen. Da beschloss ich, mich statt mit Gesellschaftsrecht für die Klientin Erde zu einzusetzen.
Was genau ist Ökozid und was will das Gesetz?
Was ich zunächst nicht wusste, ist, dass es 1995/96 schon den ersten Versuch gab, Ökozid – neben Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggression – als fünftes Verbrechen gegen den Frieden anzuerkennen. Viele Länder, darunter auch Österreich, haben sich dafür stark gemacht. Es wurde in letzter Sekunde gestrichen. Mein Gesetzesvorschlag hebt den von damals auf eine andere Ebene, da sich das Bewusstsein gewandelt hat. Wir verstehen jetzt, dass wir für kommende Generationen verantwortlich sind und wenn wir die Erde zerstören, unweigerlich uns selbst zerstören. Ich habe Ökozid eine rechtsgültige Definition gegeben, die im Wesentlichen zwei Arten einschließt: Menschengemachter Ökozid, der weitgehend, aber nicht ausschließlich unternehmerischer Natur ist und es möglich macht, gegen Menschen und Organisationen vorzugehen, die in Positionen überdurchschnittlicher Verantwortung sitzen und aktiv am Ökozid beteiligt sind – CEOs, Staatsoberhäupter, Bänker etc. Die zweite Art ist natürlich vorkommender Ökozid wie steigende Meeresspiegel oder Tsunamis, der die legislative Einbindung einer Verpflichtung zur Hilfe erfordert. Da haben wir mit dem UN-Treuhandrat bereits einen Mechanismus, der greifen könnte. Es fehlt lediglich die gesetzliche Auflage, auch helfen zu müssen – unabhängig davon, wie hoch die Kosten dafür sind.
Warum ist gerade ein Gesetz die richtige Lösung, also eigentlich die Bestrafung und nicht Bewusstseinsbildung?
Es geht nicht um Bestrafung, sondern um Berechenbarkeit. Wir müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, in der sich Unternehmende entscheiden können, ob sie umweltzerstörend arbeiten und ins Gefängnis gehen oder aber ihre Unternehmenspolitik ändern. Sie sollten die Konsequenzen kennen und danach wählen. Und ich bin keineswegs daran interessiert, Unternehmen zu schließen. Sie müssen vom Problem zur Lösung werden, indem es zum Beispiel für ein Energieunternehmen attraktiver ist, den Weg nachhaltiger Energie zu gehen, weil dort Profit zu machen ist und es dafür Subventionen der Regierung gibt. Menschliches Verhalten zu ändern ist zwar ein sehr starkes Tool, überlässt man solche Themen jedoch der Freiwilligkeit, dauert es rund 200 Jahre, bis sie im Mainstream verankert sind. Ein Gesetz hingegen kann ebenfalls unsere Normen verschieben, vor allem das Strafrecht unsere Ethik bzw. Werte beeinflussen, und Menschen sozusagen über Nacht ändern.
Wie finanzierst du dein Projekt?
Gerade jetzt sind wir zu dem Punkt gekommen, an dem uns kein Geld mehr zur Verfügung steht, mein Team oder mich zu bezahlen. Wir bekommen keine Unterstützung von Unternehmen oder Stiftungen und haben uns dazu entschieden, keine Förderanträge mehr zu stellen. Wir wollen uns bewusst dem institutionalisierten Missbrauch von Geldern entziehen und unsere freie Stimme behalten, die so oft von Geldgebern zum Schweigen gebracht wird. Ich habe vielversprechende Treffen mit Botschaftern oder Ministerpräsidenten, die hinter verschlossenen Türen sagen: »Das muss passieren!« Aber in der Öffentlichkeit haben alle Angst, dies zuzugeben. Deshalb wenden wir uns an die Grassroots-Bewegung, an die Menschen, die uns unterstützenswert finden. Wir müssen alle zusammenhalten, mutig sein, aufstehen und sagen, was wir denken; no matter what. Das ist das, was ich tue – auch mit meinem Geld.
Gibt es schon erste Resultate?
Die Gründung der European Citizen Initiative ist eine großartige Gelegenheit. Über diese Plattform können Menschen mitentscheiden, welche Gesetze sie in Europa haben wollen. So wurde der Entwurf für eine »Ökozid-Richtlinie« – ein Rechtsakt – eingereicht, der von der Europäischen Kommission akzeptiert wurde und für dessen Thematisierung im Europäischen Parlament nur eine Million Stimmen notwendig sind. Dafür haben wir bis Jänner 2014 Zeit und man sieht: Es geht ganz klar um people power! Die Initiative wird natürlich ruhig gehalten – keine Regierung würde sie bewerben, denn kriminalisieren wir Ökozid in Europa, wird dies weltweite Auswirkungen haben. Europäische Unternehmen könnten dann auch auswärts ihr Geld nicht für umweltzerstörende Geschäfte ausgeben.
Was ist seit deinem Besuch beim Elevate-Festival im vergangenen Jahr in Graz passiert, was dürfen wir für die Erdgespräche 2013 erwarten und wie geht es bei dir weiter?
Das Elevate ist ein großartiges Beispiel für innovatives Denken und hat eine Menge Aktivitäten ausgelöst. Bei den Erdgesprächen 2013 werde ich wieder über den Ökozid sprechen und warum ich glaube, dass Österreich dabei eine Schlüsselrolle hat. Österreich ist interessant, weil es zu Genmanipulation oder Atomkraft Nein gesagt hat und sehr klar formuliert, was akzeptabel ist und was nicht. Im Vergleich mit anderen Ländern ist es auch weiter entwickelt, was ökologisches Engagement oder das Bewusstsein für die Verpflichtung zu helfen angeht. Im September werde ich den Arne Næss Chair for Global Justice and the Environment an der Universität Oslo antreten, wo ich eine ganze Generation junger Anwälte inspirieren werde, als Stimmen für die Erde zu fungieren. Da freue ich mich schon darauf!
Unterschriftenseite der Europäischen Bürgerinitiative: www.endecocide.eu
ERDgespräche 2013
Do., 16. Mai, 17.30 Uhr
Wiener Hofburg, Eingang Josefsplatz
Workshop mit Polly Higgins
Fr., 17. Mai, 10.00 Uhr
Oekostrom AG, Mariahilferstraße 120
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