Lasst Europa verwildern!

wisent

BILD Staffan Widstrand

Die Initiative »Rewilding Europe« will der Wildnis samt Bewohnern in Europa eine neue Chance geben. In zehn Modell-Gebieten soll Akzeptanz für mehr wilde Natur erreicht werden. Denn: Die wilden Tiere Europas wie Bären, Luchse, Wölfe, Elche, Wisente und Co. melden sich sukzessive zurück. 

Der alte Kontinent Europa sieht sich gerne als Vorreiter in Sachen Natur- und Umweltschutz. Europa ist aber ein Resultat einer breiten Naturverdrängung und -zerstörung: Urwälder wurden gerodet, Flüsse reguliert und von den verschiedenen Wildtier-Populationen sind nur mehr wenige am Leben. Um Europa wieder zu einem »wilderen Ort« zu machen, wurden fünf Regionen als »Rewilding Areas« ausgewählt.

»Wir glauben, dass wilde Natur, wilde Lebewesen und natürliche Prozesse notwendig und gut sind für Mensch und Natur« – so lautet das Credo des Programms, das unter anderen vom WWF Niederlande lanciert worden war. Ergo versucht man, Groß-Schutzgebiete zu etablieren und verschwundene Tierarten wieder anzusiedeln.

Wisent-Wildnis

Der letzte Streich: Die Auswilderung von Wisenten in den rumänischen Karpaten. Die einst häufigen Wald-Rinder (Verwandte der amerikanischen Bisons) wurden fast alle zu Tode gejagt. Nur 54 Tiere überlebten in Gefangenschaft. Heute gibt es wieder etwa 5.000 Individuen – gut 3.000 davon leben mehr oder weniger in Freiheit. In den östlichen und südlichen Karpaten, im Oder- und im Donau-Delta sollen nun Populationen mit jeweils 100 Individuen aufgebaut werden. Auf Einladung der Gemeinde Armenis in Südwest-Rumänien wurden im Mai 17 Wisente in die Freiheit entlassen – die größte derartige Auswilderung bisher. In den Karpaten waren die Zottelriesen bis in das 18. Jahrhundert hinein heimisch. Der schwedische Naturfotograf Staffan Widstrand ist Kommunikations-Direktor von »Rewilding Europe«. Er erzählt, dass sich die kleine Gemeinde Armenis einstimmig für das Projekt entschieden hat: »Sie haben erkannt, dass sie auf der Landkarte auftauchen, wenn sie zum Wisent-Dorf werden. Und sie wissen auch, dass sie auf die Bisons aufpassen müssen.« Deshalb werden örtliche Jäger als Wisent-Ranger arbeiten. Und im Ort rüsten sich Zimmervermieter schon für die Wisent-Fans. »Wildnis muss sich finanzieren, Jobs und Einkommen bringen«, ist Widstrand überzeugt.

Ein Chance für Wölfe

Dass eine kleine Gemeinde wilde Tiere willkommen heißt, ist aber nicht üblich. Meistens herrscht eher Ablehnung vor: »Am schwierigsten ist es in Gebieten, wo es diese Wildtiere schon länger nicht mehr gibt. Die Aufgabe von Agrarland in vielen Teilen Europas und das üppige Jagdwild-Angebot kommen Auswilderungsprojekten aber entgegen.« Gute Chancen für vielversprechende Auswilderungen sieht Staffan Widstrand auch in Deutschland: »Das Oder-Delta hat ein großes Potenzial, auch als touristische Destination. Elche leben auf der polnischen Seite, ebenso Wölfe. Und man braucht nur eine Stunde bis zu einer Herde Wisente.«

In Österreich ist »Rewilding Europe« derzeit nicht aktiv. Dessen ungeachtet sind Elche aus Südböhmen eingewandert. Luchse und Wölfe wurden in Nord- und Ostösterreich registriert – und Bären treiben sich in Südkärnten herum. Nun liegt es an uns, ob wir immer noch an das Märchen vom bösen Wolf glauben – oder ob wir diesen Tieren eine Chance geben.

www.rewildingeurope.com

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