Eine flüssige Antwort auf den Klimawandel

Der Gemischte Satz ist ein Klimawandelgewinner und mit ihm die WinzerInnen, die ihn anbauen.

Das Weingut Christ.
Der Gemischte Satz war bis in das 19. Jahrhundert die allgemein vorherrschende Weinanbaumethode. Bild: Weingut Christ.

Die uralte Weinbauweise des Gemischten Satzes erfreut sich unter diesem Namen nun seit rund 15 Jahren stark steigenden Interesses. Auch weil sie Klimawandelanpassungen erleichtert. Eine besonders ­große Rolle spielt dieser in Wien in der einzigen Stadt der Welt mit ökonomisch relevantem Weinbau. Und: Je nach Quelle werden ­aktuell 30 bis 40 Prozent der Weinanbaufläche in Wien biologisch oder biodynamisch bewirtschaftet, in wenigen Jahren wird es wohl die Mehrheit sein. Gemischter Satz bedeutet, dass in einem Weingarten mindestens drei, meist aber noch viel mehr verschiedene Rebsorten stehen. ­Diese werden gemeinsam zur gleichen Zeit gelesen und dann im Keller weiter verarbeitet. Die gemeinsame Lese sorgt dafür, dass die unterschiedlichen Rebsorten zum Zeitpunkt der Lese unterschiedlich reif sind und eher früh geerntete Trauben im Wein später tendenziell für eine willkommene Säure sorgen und jene die schon deutlich reifer sind und mehr Zucker haben, der sich bei der Gärung in mehr Alkohol umwandelt, miteinander für einen komplexen vielschichtigen Weingenuss sorgen. Dies sorgt nicht nur bei jungen ­Weinen für Komplexität und eine Gleichzeitigkeit – im Idealfall eine harmonische Balance – aus Frucht, Säure, ­Mineralik oder auch Kraft und Geschmacksvolumen, sondern verspricht in den meisten Fällen auch ein Reifepotenzial, da die Weine noch nach Jahren in der Flasche vielschichtig und frisch sind.

Wiener Gemischter Satz

Mindestens drei Rebsorten aus einem Weingarten, der größte Sortenanteil einer Rebsorte darf nicht höher als 50% sein, der drittgrößte Anteil muss zumindest 10% umfassen. 

Mehrere tausend Jahre Standard

Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war diese Anbaumethode nicht nur in Europa die allgemein vorherrschende und reinsortiger An- und Ausbau eine Seltenheit. Doch in 1860ern kam mit Kulturpflanzen aus Amerika nicht nur die berühmte Reblaus nach Europa, ihre Ausbreitung leitete auch die Abkehr vom bis dato dominierenden Gemischten Satz ein. Sie beendete eine Blütezeit des Europäischen Weinbaus und breitete sich über ganz Europa aus, 30 Jahre schien man ihr hilflos ausgesetzt zu sein. In manchen Ländern ging der Weinertrag in dieser Zeit um über zwei Drittel zurück. Als einziges Mittel gegen den ­Schädling erwies es sich, die europäischen Weinstöcke auf amerikanische, gegen die Reblaus immune Wurzelstöcke aufzupfropfen. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann auf reinsortigen Wein gesetzt, auch wenn nicht zuletzt französische Regionen eine Regionstypizität über die einzelne Rebsorte setzen und erfolgreich vermarkten. Der Gemischte Satz aber, geriet in Vergessenheit.

»Wenn im Gemischten Satz einzelne Rebsorten dominant werden, ist das Produkt misslungen.«

Rainer Christ, Weingut Christ

Wiederentdeckt hat ihn vor fast 20 Jahren eine Runde von Wiener WinzerInnen, darunter Richard Zahel und einige WinzerInnen, die heute als WienWein zusammenarbeiten. Teil dieser Gruppe sind Rainer Christ mit seinem Bioweingut, Fritz Wieninger, der unter seinem Namen und der Naturweinmarke Hajszan Neumann biodynamisch arbeitet und die Weingüter Edlmoser, Cobenzl (bio ab Ernte 2023), Mayer am Pfarrplatz und Fuhrgassl-Huber. Als sie sich 2006 noch mit Zahel als Teil der Gruppe zusammengeschlossen haben, um dem ­Wiener Gemischten Satz einen neuen Stellenwert zu geben, wurde gemeinsam auf 30 Hektar Gemischter Satz angebaut, heute sind es über 200 Hektar. Damals wurden davon 40.000 Flaschen pro Jahr verkauft, heute sind es über 1,1 Millionen. Seit 2013 gibt es den Wiener Gemischten Satz auch als DAC-Kategorie und er trägt das Slow-Food-Gütesiegel »Presidio-Produkt«. Dem Terroir, vereinfacht der Geschmack ­eines Gebiets, der sich aus Klima und vor allem dem Boden ergibt, wurde in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Der ­Gemischte Satz steht wie wenige andere Begriffe für diesen Zugang – nicht die einzelne Rebsorte steht im Vordergrund, sondern der Geschmack eines Gebiets: »Wenn im Gemischten Satz einzelne Rebsorten dominant werden, ist das Produkt misslungen«, bringt es Rainer Christ auf den Punkt. Die Gebiete, um die es dabei geht, können sehr klein sein: Auch in Wien schmeckt der Gemischte Satz vom ­Bisamberg nördlich der Donau, anders als jener vom Nussberg südlich der Donau oder jener aus Mauer im Süden Wiens. 

Rote und weiße Weintrauben.
Es gibt die drei Herkunftsstufen Gebietswein, Ortswein und Riedenwein mit eigenen Regeln etwa für den Alkoholgehalt. Im Ausbau darf der Wiener Gemischte Satz keinen stark wahrnehmbaren Holzeinsatz aufweisen. Bild: Demeterhof Zahel.

Das Spiel mit der Säure

Diese Art des Weinbaus eignet sich ideal für Klimawandelanpassungen: »Beim Gemischten Satz kann ich, wenn einzelne Rebstöcke ausgetauscht werden müssen oder auf Wunsch neue Rebsorten gepflanzt werden sollen, die vielleicht später oder früher reifen, dies tun ohne dadurch die Spezifik des Weins zu verändern«, erklärt Rainer Christ. WinzerInnen müssen sich hier nicht die Frage stellen, ­welche einzelnen Rebsorten in ihren Weingärten in 10 oder 20 Jahren Wein bringen, sie können in kleinen Schritten modellieren und ­anpassen. Wichtig sind die einzelnen Rebsorten nämlich schon: Sie bringen die Eigenheiten des Bodens über ihre Wurzeln in die Traube und sind zur Lese eben auch unterschiedlich reif. Auch für Michaela Griesser, die stellvertretende Leiterin des Instituts für Wein- und Obstbau an der Universität für ­Bodenkultur (Boku) Wien, ist der Gemischte Satz eine Möglichkeit zur Klimawandelanpassung: »Es wird in Zukunft wichtig sein trotz veränderter Bedingungen in den Trauben beziehungsweise ­einem Wein ein breites und dynamisches Spiel an ­Säure und Zuckergehalt zu haben – der Gemischte Satz ermöglicht das auch in Zukunft. Hier können Sorten in den Weingarten genommen werden, die ­heute bei uns noch kein Thema sind, ohne komplett umzustellen.« Für entscheidend hält sie es außerdem, dass biologisch oder biodynamisch gearbeitet wird. Dies ergibt gemeinsam mit einer möglichst großen Biodiversität im und rund um den Weingarten die gesündesten Böden, die dafür sorgen, dass die Pflanzen gut versorgt werden und dadurch weniger Stress haben und so weniger anfällig sind für Krankheiten, Insekten oder Pilzbefall: »Begrünungsmanagement, Böschungen, Randstreifen und eine diverse Kultur, machen den Unterschied. Pflanzen können dann trotz Trockenheit und höheren Temperaturen weniger Stress haben«, erklärt sie. In ihrer Beobachtung hat sich in diesem Bereich aber in den letzten Jahren viel getan und auch der konventionelle Weinbau arbeitet heute großteils mit mehr Bedacht auf den Boden. »Die Weinrebe ist eine genügsame Pflanze und mit entsprechender Bodenpflege, kann man über Jahre das Ökosystem stärken und aufbauen. Wein hat gegenüber der Ackerlandwirtschaft auch den Vorteil, dass Wein tiefer wurzelt, da die Weinstöcke über viele Jahre stehen und nicht maximal ein Jahr.« Die Umgebung seiner Weingärten weiß auch Rainer Christ zu schätzen: »70 Prozent des Bisambergs werden nicht landwirtschaftlich genutzt und das Gebiet hat eine der größten Artenvielfalten in Europa. Es ist ein Bonus für uns, dass wir eingebettet in so eine Landschaft arbeiten können.« 

DAC

Districtus Austriae Controllatus ist die gesetzliche Bezeichnung für besonders gebietstypische österreichische Qualitätsweine. Was typisch für die großen Gebiete ist, macht sich das für Weinbaupolitik im Gebiet zuständige regionale Weinkomitee (Trauben- und WeinproduzentInnen, HändlerInnen) aus. 

Alexander Zahel ist der Neffe von Richard Zahel und hat als junger Weinbauer die Möglichkeit bekommen das Weingut nach seinen Vorstellungen umzubauen: Schnell wurde auf biodynamischen Weinbau umgestellt und noch heute ist das Weingut Zahel der einzige Demeter-Weinbetrieb in Wien. Er sucht in seinen Bestrebungen immer noch ökologischer zu arbeiten immer neue Wege. Noch für seine Großeltern war der Gemischte Satz eine Art Risikostreuung: Wenn eine Sorte etwa wegen viel Regen litt, konnte eine andere dafür sorgen, dass genügend Ertrag da ist. Für ihn ist er Gemischte Satz eine Möglichkeit zur Komplexitätssteigerung: »Als Winzer kenne ich die Rebsorten. Ich weiß, welche wann reift und kann durch die Rebsortenwahl und -zusammensetzung trotz höherer Temperaturen später ernten und den gewünschten Stil beibehalten.« Er ist 2010 bei WienWein ausgestiegen, weil er als junger Mensch komplett frei nach seinen Vorstellungen arbeiten wollte, betont aber das gute Miteinander unter den Wiener WinzerInnen: »Die Zukunft wird darin liegen gemeinsam biologisch, biodynamisch und regenerativ zu arbeiten, dann werden alle gemeinsam erfolgreich sein«, ist er überzeugt. 



»Ich kann durch die Rebsortenwahl und -mischung trotz höherer Temperaturen später ernten und trotzdem den gewünschten Stil beibehalten.«

Alexander Zahel, Weingut Zahel

Interpretation im Keller

Auch wenn der Wiener Gemischte Satz vor allem als DAC-Wein eine gewisse Typizität erwarten lässt, haben die WinzerInnen noch viel Spielraum: »Der Ausbau ist die Interpretation der Person die im Weinkeller die Entscheidungen trifft«, sagt Rainer Christ – und die kann ganz unterschiedlich ausfallen. Abhängig natürlich auch vom einzelnen Jahrgang und zum Beispiel den Auswirkungen des Wetters. Gemischten Satz gibt es natürlich nicht nur in Wien, sondern dieser ist etwa auch das Signature-Produkt von Bioweinbauer Gottfried Lamprecht mit seinem »Buchertberg Weiss« aus der Steiermark. Aber nur in Wien ist der Gemischte Satz eine geschützte Bezeichnung. Darüber und über ihren Ansatz erzählen die WinzerInnen von WienWein auch internationalen BesucherInnen, die derzeit oft noch viel reinsortiger und in größeren Maßstäben arbeiten und sich für die Vorteile des Wiener Gemischten Satzes mit seiner langen Geschichte interessieren. Dass der Gemischte Satz als eine Antwort auf den Klimawandel auch Zukunft hat, davon sind alle gleichermaßen überzeugt.  

Heurigenkultur

Der Wiener Gemischte Satz hat eine Tradition in der Heurigenkultur, die 2019 von der Unesco zum immateriellen Kulturerbe ­Österreichs erhoben wurde. 
Sie geht zurück auf das Jahr 1784 in dem Kaiser  Joseph II. seinen WinzerInnen erlaubte, ihren jungen Wein direkt vor Ort auszuschenken

Mehr über das Weinbaugebiet Wien und seine Besonderheiten hat BIORAMA bereits hier geschrieben.

BIORAMA Wien-Berlin #3

Dieser Artikel ist im BIORAMA Wien-Berlin #3 erschienen

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