So unterschiedlich schmecken Hülsenfrüchte
Geschichte und Geschmack von Bohne & Co.
Beginnen wir ausnahmsweise mit der Hülsenfrucht in ihrer schrägsten Form: fermentierte Sojabohne. Bekannt auch unter der Bezeichnung Nattō. Ein Maßstab für die Kunstfertigkeit einer Fermentatorin oder eines Fermentators ist sein Nattō. In Österreich reichen drei Finger, um die ProduzentInnen aufzuzählen, die perfektes Nattō am Markt anbieten. Sanjay Bösch ist einer davon. Ihn und sein Nattō wurde hier bereits vorgestellt, als es um Fermentiertes ging. Ein anderer Produzent ist das Unternehmen Farmento in Prellenkirchen. Auch dort verrotten Sojabohnen bis sie einen Grad der Köstlichkeit erreicht haben, der einzigartig ist. Nattō, also jene fermentierten Sojabohnen, sind ein japanisches Nationalgericht. So weit, so gut. Der Teufel steckt im – zugegeben gewöhnungsbedürftigen – Geruch. Um Nattō herzustellen werden die Sojabohnen gedämpft oder gekocht, wenn traditionell gearbeitet wird, in Reisstroh verpackt und mit dem im Stroh vorkommenden Bakterium bacillus subtilis natto »geimpft«. Den Rest erledigt die Natur und macht aus den Sojabohnen eine polarisierende Delikatesse. Ein geschmackliches Kondensat Japans. Am Ende des Prozesses sind die Bohnen allerdings von einer schleimigen und klebrigen Masse umgeben, die beim Versuch, die Sojabohnen zu löffeln oder mit Stäbchen zu essen, sehr lange Fäden zieht. Wer Nattō gut hinbekommt, hat das Wesen der Fermentation verstanden. Man kann Nattō auf verschiedene Arten genießen. Die Empfehlung für Einsteiger: mit etwas Sojasauce in einer kleinen Schüssel verquirlen, ein weichgekochtes und geschältes Ei draufsetzen und entweder mit Katsuobushi, den getrockneten Bonito-Flocken oder Bottarga, den getrockneten Meeräschenrogen, würzen. Oder einfach so. Zum Frühstück.
Grundlegendes und Einordnung
Worüber sprechen wir, wenn von Hülsenfrüchten die Rede ist? Wesentlich ist, dass Hülsenfrüchte keine Früchte sind. Jedenfalls nicht im Sinne von Obst. Es ist Gemüse. Und es gibt ordentlich viel davon. Die Angaben schwanken zwischen 13.000 und 18.000 Arten. Zugegeben, »Hülsenfrüchte« klingt einmal wenig sexy. »Körnerleguminosen«, wie sie auch noch genannt werden, noch weniger. Letztlich ist das aber auch egal. Auf Menüs und Speisekarten stehen ohnehin immer die jeweiligen Vertreter. Also Linsen, Erbsen, Bohnen, Kichererbsen, Wicken oder Sojabohnen. Und Erdnüsse. Erdnüsse gehören auch zur Familie. Was sie gemeinsam haben, die Hülsenfrüchte, ist die Hülse. In ihr eingeschlossen sind die Samen, die Kerne, die – in frischer oder getrockneter Form – kulinarische Verwendung finden.
Warum beschäftigen wir uns eigentlich mit Linsen, Erbsen und Konsorten? Zum einen, weil wir sie schon eine ganze Weile anbauen. Anders formuliert, die Hülsenfrüchte gehören zu den ältesten Kulturpflanzen, die wir haben. In Griechenland fanden ArchäologInnen u Erbsenreste, die über 5000 Jahre alt sind. Die Geschichte der Kichererbse ist noch älter. Hier werden 8000 bis 10.000 Jahre vermutet. Wobei sie, die Kichererbse, den Weg über die Seidenstraßen vom Himalaya in den Westen fand. Der zweite Grund, warum wir uns mit Hülsenfrüchten beschäftigen, ist schlicht, dass sie gesund sind. Aus ernährungsphysiologischer Sicht sind sie unschlagbar. Ordentlich mit Ballast- und Mineralstoffen ausgestattet, jede Menge Protein, kaum Fett. Ihr einziger Nachteil ist, dass sie ziemlich lange (weich)gekocht werden müssen und dadurch die ganzen Vitamine der B-Gruppe verlieren.
Was die Sensorik der Hülsenfrüchte betrifft, ist deren Vielfalt so groß, dass eine einheitliche Darstellung kaum möglich ist. Nehmen wir daher eine besonders frische und grüne Variante heraus. Quasi als Gegenpol zur eingangs erwähnten fermentierten Sojabohne: die Erbse. Sie ist wie gesagt eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt. In der gastrosophisch-kulinarischen Literatur finden wir sie in unzähligen Gerichten zu unzähligen Anlässen in unzähligen Formen.
In Dosen verpackt als Verpflegung für Heere, die in den Krieg ziehen, als Farbtupfer im Reis (aka Risipisi), als nobles, royales Elitegemüse. Die Erbsen verfügen über das, was wir als ›umami‹ bezeichnen. Den Geschmack der Aminosäure Glutamat, auch »Wohlgeschmack« genannt. Außerdem sind sie dezent süß und leicht grasig. Es gibt eine Sorte, die in sensorischer Hinsicht besonders hervorsticht. Guisante lágrima oder auch Tränenerbsen genannt. Die Kugerln gehören zu den teuersten Gemüsesorten der Welt. Teuer sind sie deshalb, weil erstens die Ernte enorm arbeitsintensiv ist und zweitens die Ausbeute gering. Von einem Kilogramm geernteter Schoten bleiben maximal 50 bis 60 Gramm Erbsen übrig. Die haben es dann aber in sich. Extrem dünnschalig und obwohl leicht süßlich ist auch etwas Salzigkeit zu schmecken. Beisst man auf die Erbse, platzt sie auf und der Saft samt Fruchtzucker werden freigesetzt. Mehr Erbse geht einfach nicht. Ein Wiener Sternekoch hatte erst kürzlich ein Gericht mit Lágrimas auf der Karte. Eine kleine Schüssel frischer Tränenerbsen, darauf eine Weltklasse-Rotbarbe. Nach der ersten Erbse wird schlagartig klar, dass nicht der Fisch die Hauptrolle bei diesem Gericht spielt. Worauf wir hinauswollen. Hülsenfrüchte werden immer noch nur mit Linsen mit Speck assoziiert. Das gibt es. Es geht aber auch anders.
Mehr zu Fermenten gab’s im BIORAMA #77.